So rockst du das medizinische Gespräch
Neunzig Prozent des Erfolgs ist Vorbereitung. Das gilt auch für das Behandlungsgespräch, denn es geht um deinen Körper. Ein Crashkurs in Kurvenkratzer-Kommunikation.
Seite 3/3: Wie werde ich eine mündige Patientin, ein mündiger Patient?
Alexander Böhmer war 20, als er an einem Osteosarkom (Knochenkrebs) im rechten Bein erkrankte. Nachdem die betroffenen Knochenteile entfernt und durch Tumorprothesen ersetzt wurden, kam es unglücklicherweise zu einer Keiminfektion. Es bestand das Risiko einer Sepsis.
Eine komplizierte Operation, bei der die Prothesen ausgetauscht und Muskeln aus anderen Körperteilen verpflanzt werden, wurde angedacht. Dieser Eingriff wurde mit geringen Erfolgsaussichten und starker nachhaltiger Einschränkung der Lebensqualität bewertet. Mit seiner Frage „Welche anderen Möglichkeiten gibt es?“ sorgte er allerdings dafür, dass der behandelnde Chirurg eine im Vergleich dazu einfache Lösung in Erwägung zog: Amputation. Die chirurgische Abtrennung von Beinen ist gut erprobt.
Heute ist Alexander seit etwas mehr als ein Jahr krebsfrei und lebt glücklich mit Beinprothese. Er hat das Gehen neu erlernt und ist dankbar, dass er „so hartnäckig war“ und „nach Alternativen gefragt“ hat. „Ich atme, ich laufe, ich lache … Und darauf kommt es an!“
Den Link zu seinem Blog gibt’s in der Infobox am Ende des Artikels.
Schritt 7: Beim Kernthema bleiben
Medizin ist eine Wissenschaft der Spezialgebiete. Sei nicht ungehalten, wenn dir die Ärztin oder der Arzt manche Fragen nicht beantworten kann, weil sie ein anderes Fachgebiet betrifft. Frage nach, mit wem du die konkreten Punkte besprechen müsstest.
Das spart Zeit für die wesentlichen Themen und die Ärztin oder der Arzt ist nicht genervt, weil du abschweifst. Außerdem ist das hier keine „Seelsorge“. Besonders Emotionales oder psychische Probleme besprich besser mit einer Psychoonkologin oder einem Psychotherapeuten.
Schritt 8: Die Krankheit selbst in die Hand nehmen
Manche Ärzte (hier haben wir explizit nicht gegendert, da es eher Männer betrifft – Sorry, Herren der Schöpfung!) werden leider immer noch dem Klischee vom „Gott in Weiß“ gerecht. Doch diese Zeiten sind absolut überholt. Mittlerweile sehen sich viele Ärzt:innen in einer beratenden Funktion und schreiben dir sicher keine Therapien vor. Die letzte Entscheidung liegt bei dir.
Agiere als mündige Patientin bzw. mündiger Patient. Dazu solltest du bestens über die Erkrankung informiert sein. Dann hast du es selbst in der Hand, wie du dem Krebs begegnest und dich in den Spitalbetrieb einfügst.
Checkliste: So wirst du zum Kurvenkratzer-Kommunikationsprofi
- Lupe auf die Krankengeschichte
- Weniger Stress ist besser fürs Reden
- Im Gespräch Zen-Meisterschaft erreichen
- Achtung, medizinische Begriffe können verwirren
- Halte durch, wenn es kompliziert wird
- Keine Scham! Bei Unklarheiten nachfragen
- Bleibe lieber beim Kernthema
- Nimm die Krankheit selbst in die Hand
Sonderfall: Sprachbarrieren oder Migrationshintergrund
In jedem Gespräch mit medizinischem Personal ist es wichtig, möglichst einfach und klar zu kommunizieren. Kommen allerdings sprachliche Barrieren oder migrantischer Hintergrund hinzu, sollte jedenfalls ein:e Dolmetscher:in einbezogen werden.
Zum Einsatz können Angehörige oder Freund:innen der betroffenen Person, staatlich anerkannte Dolmetscher:innen oder ehrenamtliche Hilfspersonen kommen. Wahrscheinlich ist aber die beste Variante, in der betreffenden Einrichtung nach zwei- oder mehrsprachigen Mitarbeiter:innen zu fragen. Das ist zeiteffizient und die Personen verfügen über medizinisches Fachwissen.
Schritt für Schritt bewältigbar
Nach Viktor E. Frankl könne ein baufällig gewordenes Gewölbe gefestigt werden, indem „man es belastet“. Das treffe auch auf den Menschen zu: „Mit den äußeren Schwierigkeiten wächst anscheinend seine innere Widerstandskraft“.
Lass dich nicht unterkriegen. Du schaffst das!
Hier geht’s zu allen Kurvenkratzer-Checklisten
Zum Weiterlesen:
- Instagram-Profil von Alexander Böhmer, Mutmacher und Gründungsmitglied des Netzwerkes Cancer Unites
- Patient Advocacy: Wie über Krebs reden? Laut!
- Shared Decision Making: Auf Augenhöhe mit der Ärztin
- Was ist Shared Decision Making?
Literatur:
- Ernil Hansen. Ärztliche Kommunikation – Worte wie Medizin. In: Elvira Muffler (Hrsg.). Kommunikation in der Psychoonkologie. Der hypnosystemische Ansatz. Carl-Auer Verlag, Heidelberg, 2015.
- Anja Mehnert et al. Schwierige Gesprächssituationen in der Arzt-Patient-Interaktion. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz · September 2012. Springer-Verlag, Springer Medizin, 2012.
- Viktor E. Frankl. Psychotherapie für den Alltag. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, Neuausgabe 1992.
Titelfoto: Pexels/Oles Kanebckuu
(Veröffentlicht am 23.10.2020, aktualisiert am 25.07.2021)
Über die Serie
Eine Krebsdiagnose schlägt wie ein riesiger Meteorit in das Leben von Betroffenen und Angehörigen ein. Wer damit konfrontiert wird, weiß im ersten Moment nicht, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Das ist komplett normal. Bisher schien alles so toll in geradlinigen Bahnen zu verlaufen. Nun sind vom einen auf den anderen Tag die Prioritäten total verschoben.
Kurvenkratzer reicht dir mit dieser Checklisten-Serie Tipps für die Bewältigung des Schocks. Wir haben praxiserprobte Hilfestellungen für die häufigsten Situationen während einer Krebserkrankung für dich auf Lager – vom medizinischen Gespräch bei der Diagnosestellung bis zum Reha-Aufenthalt in der Nachsorgephase. Und wir geben Impulse, wie dir ein achtsamer Umgang mit der Erkrankung gelingt.
Bitte beachte: Krebs ist höchst individuell. Die auf diesen Seiten enthaltenen Informationen stellen keine verbindliche und vollumfängliche medizinische Auskunft dar. Bitte berate dich betreffend deiner Therapieentscheidung jedenfalls mit deiner Ärztin oder deinem Arzt. Kurvenkratzer übernimmt keine Haftung für Fehlbehandlungen.