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Wenn Freundschaften plötzlich enden
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Cancer Ghosting – die große Aussortierung

Laut einer Studie von War on Cancer, einem sozialen Netzwerk für Krebspatient:innen, gaben 65 Prozent der Befragten an, nach ihrer Diagnose Freund:innen oder Verwandte verloren zu haben. Ob der Häufigkeit dieses Phänomens hat sich schnell ein Wort dafür gefunden: „Cancer Ghosting“. Warum das so häufig passiert und was du als Geghosteter tun kannst, erfährst du hier.

Der umgekehrte Fall: Reverse Cancer Ghosting

Ghosting aus Selbstschutzgründen ist das eine. Freunde vor der unbeabsichtigten Erbärmlichkeit deines Zustands schützen zu wollen, das andere. Dich so zu sehen, würde ihnen vielleicht das Herz brechen, also lässt du dich gar nicht sehen. Dazu kommt, dass man gesundheitlich oft nicht zu  Unternehmungen fähig ist, und sich dementsprechend wie ein Klotz am Bein der kerngesunden Truppe fühlt.  Auch der Gedanke, das eigene Verschwinden würde die Leute auf den eventuell bevorstehenden Verlust vorbereiten, sollte die Behandlung erfolglos verlaufen, ist ein morbider, aber nachvollziehbarer Grund für Reverse Cancer Ghosting.  

Erfahrungsberichte

Erika, 37  

„Für die meisten war es schlimm mich leiden zu sehen und sie wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollen – manche hatten auch Angst mich zu verlieren (das hatten sie mir erst danach gesagt). Für mich war es während dieser für mich so schlimmen Zeit echt nicht einfach, dass sie mich gemieden haben – danach war es mir aber verständlich. Während des zweiten Chemoblocks habe ich tatsächlich dann auch Kontakt nach außen „geblockt“ und nicht mehr allen erzählt, wie es mir tatsächlich geht. Tatsächlich wussten nur 2 – 3 Menschen immer, wie es mir geht (und der Kontakt zu ihnen wurde erst während der Chemo enger). Die meiste Zeit wollte ich meine Ruhe und daheim „vor mich hinleiden“ und aufgrund der ganzen Schmerzen und Nebenwirkungen konnte ich ja auch kaum normal am Leben teilnehmen.“ 

Anja, 33

„Geghostet wurde ich von meiner besten Freundin. Wir kennen uns, seit wir 12 Jahre alt sind. Sind zusammen zur Schule gegangen, haben unsere Jugend gemeinsam verbracht […]. Der Freundschaftsabbruch verlief zunächst schleichend. Als ich meine Diagnose bekommen habe, hat sie am Telefon mit mir mitgeweint […]. Einmal war sie mich noch besuchen, war überrascht, dass ich „so gut aussehe“ und rückblickend habe ich das Gefühl, dass das der Moment war, an dem sie die Krankheit nicht mehr richtig ernst nahm, vielleicht weil ich den Stereotypen nicht entsprach […]. Unsere Kommunikation wurde nach und nach immer floskelhafter („Das wird schon“, „Halte durch“, …). Als ich von einer wichtigen Operation aufwachte, hatte ich Nachrichten von ca. 20 Leuten, aber keine von ihr. Ich musste eine zweite Chemotherapie machen, weil die erste nicht gut anschlug. Körperlich ging es mir damit besser, psychisch aber schlechter. Das Verständnis bei ihr sank dann merklich, als wäre ich schon zu lange krank oder alles nur eine Frage der Einstellung […]. Zufällig habe ich dann irgendwann, nachdem wir schon eine Weile keinen Kontakt hatten, gesehen, dass sie mich bei Whatsapp blockiert hat. Ich habe dann bei anderen sozialen Netzwerken nachgeschaut und gesehen, dass sie mich auch dort entfernt hatte […]. Mir ging es sehr schlecht damit. Keine Trennung in meinem Leben war so schlimm wie das. Ich habe so viel gegrübelt, woran es liegt, ob ich etwas falsch gemacht habe und auch oft davon geträumt, weil ich anscheinend auch unterbewusst immer wieder damit befasst war.“ 

Weitere ausgewählte Gründe für Cancer Ghosting

Der beschissenste gleich vorweg:  Vielleicht warst du für den Ghostenden nicht so wichtig, wie du geglaubt hast. Puh, voll in die Magengrube. Nur, weil du eine Person in einem bestimmten Licht siehst und mit durchwegs positiven Sentimenten aufwiegst, heißt das nicht, dass diese Person das genau so mit dir handhabt. Jaja… 

Der zweitbeschissenste folgt zugleich: Du bist als Krebspatient:in ein Klotz am Bein der kerngesunden Gruppe, versaust mit deinem Herumgekrebsle die Stimmung. Besonders Freundschaften, die hauptsächlich im Kontext der Gruppe existieren, werden da relativ schnell versiegen. Man wird immer weniger gefragt, ob man zu dieser oder jener Party kommen will, ob man mit wandern/klettern/schwimmen/*insertsportofyourchoice* gehen will. Man weiß ja, dass du dazu nicht mehr so fähig bist, und berücksichtigt dich in der Folge immer weniger. 

Dann wäre da noch die falsch verstandene Rücksichtsnahme. Gar nicht so unwahrscheinlich, dass deine Freunde denken, du brauchst Ruhe, musst mit Chemo, Fatigue, Sterblichkeit, etc. klar kommen. Du wirst dich schon melden, wenn du etwas brauchst. Manche sind sich da leider zum Nachfragen zu schade oder unsicher. Nicht jeder kommuniziert aktiv. Passivität ist das Laster der Menge. 

Stell dir vor, deine beste Freundin hat ein Kind bekommen. Sie wollte schon immer Mutter werden, kann ihr Glück kaum fassen. Und du stehst gerade ganz am anderen Ende des Lebensgefühlsspektrums. Da kann es schon mal vorkommen, dass sie sich schuldig fühlt, weil ihr etwas Gutes passiert, während du leidest.

Hier geht’s zu allen Kurvenkratzer-Checklisten

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