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Wie du aufhörst, dich zu schämen
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Wie Darmkrebs, Scham und Ghosting zusammenhängen

Tabus, Ghosting, Scham? Können wir uns nicht leisten. Wir sprechen aus, was viele verdrängen – mit Community-Tipps und Klartext von Psychoonkologin Anja Mehnert-Theuerkauf.

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Auf Seite 2 erfährst du:

  • Was der Mount Everest mit Tipps gegen Scham zu tun hat
  • Was die Community dir rät
  • Wie du mit ghostenden Freund:innen umgehst
Nahaufnahme kurviger Frauenkörper
Mit Narben, Gewichtsachterbahnen oder vielleicht sogar einem Stoma kann sich der Körper schon einmal fremd anfühlen. Lerne ihn neu kennen und schenke dir selbst Zärtlichkeit. Dein Körper trägt dich jeden Tag. (Foto:Unsplash/Monika Kozub)

4. Lerne deinen Körper neu kennen

Dein Körper hat sich verändert – und das ist okay. Wichtig ist, ihn wieder bewusst zu spüren. Massiere dich selbst beim Eincremen, beobachte, wie sich dein Körper anfühlt. Wenn du in einer Partnerschaft bist, sprich offen über deine Ängste. Gemeinsam könnt ihr lernen, Berührungen neu zu entdecken – auch das Stoma gehört dazu.

Auch Ernährung und Sport sind Teil des Körpergefühls.

Ramazan Cetinkaya hat seinen Lebensstil nach dem Krebs umgestellt: „Durch die Diagnose habe ich meinen Körper neu kennengelernt und dadurch auch einiges geändert. Ich habe aufgehört zu rauchen, habe den Konsum von industriellem Zucker sehr eingeschränkt und lebe seitdem sehr gesund. Ich habe auch wieder angefangen, aktiv Fußball zu spielen und mir sogar ein Laufband angeschafft, um meine Kilos, welche ich während der Chemo zugelegt habe, wieder loszuwerden.”

Kind am Anfang einer langen Treppe
Manchmal fühlt man sich einfach wie ein hilfloses Kind am Anfang einer scheinbar endlosen Treppe. Aber auch kleine Schritte führen dich ans Ziel. (Foto: Unsplash/Jukan Tateisi)

5. Auch kleine Schritte bringen dich auf den Gipfel

Mehnert-Theuerkauf vergleicht den Umgang mit Scham mit der Besteigung des Mount Everest: „Man schafft es nicht an einem Tag.“ Statt dich von riesigen Ängsten überrollen zu lassen, setze dir Mini-Ziele: Mit dem Stoma spazieren gehen. Ins Kino gehen. Schauen, ob es wirklich so schlimm ist, wie du denkst. Denn oft ist es das nicht.

„Niemals aufgeben ist die Devise, denn es ist erst dann zu Ende, wenn es zu Ende ist. Und vorher denkt man in kleinen Schritten und nicht an den ganzen Weg.”
– Esther, Community

Zwei Geschichten, zwei Tipps: Darmkrebs ohne Tabus

„Es ist jetzt so, wie es ist“ – Esthers Pragmatismus und Humor

Mit 44 bekam Esther Meyer zufällig die Diagnose – nach den Kriterien der Krankenkasse hätte sie eigentlich noch gar nicht zur Darmspiegelung gehen können. Doch Scham? Fehlanzeige. „Ich habe gleich nach der Diagnose meiner Familie, meinen Freund:innen und meiner Tanzgruppe davon erzählt.“

Ihr Alltag mit einer „Art Pouch aus Dickdarm“ ist herausfordernd, doch sie bleibt pragmatisch: „Es hat sich stark gebessert, und ich versuche, nicht an das Davor zu denken.“

Peinlich ist ihr nichts. „Manchmal kommt mein Stuhl mit so einer Wucht, dass ich erstmal putzen muss. Höchst unangenehm, aber ich muss mich deshalb nicht schämen.“ Ihr Humor hilft – ihr selbst und anderen. Ihr Rat: Geduld. „Wenn es mir schlecht geht, denke ich daran, dass das früher mein Dauerzustand war. Ich bin dankbar, dass es nicht mehr allzu oft vorkommt.“

„Ich habe mich keineswegs geschämt“ – Ramazan und seine Positivität

Mit 39 traf Ramazan Cetinkaya die Diagnose – und er entschied sich, offen damit umzugehen. „Ich habe mich keineswegs für meine Krankheit geschämt. Im Gegenteil: Ich habe jede Frage beantwortet und niemanden abgewiesen.“

Doch sein Umfeld tat sich schwerer. „Viele wussten einfach nicht, was sie mir schreiben sollten.“ Sein Schwiegervater zog sich erst zurück, fand aber wieder den Weg auf ihn zu.

Heute, nach OP und Chemo, geht es ihm gut. 50 Zentimeter Darm fehlen nun, seine Verdauung hat sich verändert – aber davon lässt er sich nicht ausbremsen. Denn das Wichtigste für ihn ist, an sich selbst zu glauben. „Mit einem positiven Mindset ist alles machbar.“

Bild von Ramazan
Ramazan Cetinkayas Diagnose war für ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Heute blickt er zurück auf ein Jahr voller Herausforderungen, Rückschläge und auch kleiner Siege (Foto: Privat).

Und dann wäre da noch das große Thema:

Cancer Ghosting und Kommunikationsprobleme

Freundschaft und Krebs – eigentlich sollte das kein Widerspruch sein, denn Freund:innen sollten ja gerade in schwierigen Zeiten eine Stütze sein. Trotzdem kennt fast jede:r eine Geschichte, in der sich Freund:innen plötzlich rar machen, sobald eine Diagnose im Raum steht. Wie sagt man dem Umfeld, dass man Darmkrebs hat? Und was tut man, wenn danach nur noch Funkstille herrscht?

Für Psychoonkologin Anja Mehnert-Theuerkauf sind Kommunikation und Selbstbestimmung die Basis jeder Freundschaft. „Man kann selbst entscheiden, was man teilt – oder eben nicht. Und man kann offen sagen: ‘Du, das verletzt mich gerade. Das tut weh, und ich möchte, dass du verstehst, warum.‘ Oft sind Menschen nicht absichtlich ignorant – sie sind einfach überfordert.“

Und wenn sich Freund:innen einfach nicht mehr melden, also ghosten? Dafür sieht Mehnert-Theuerkauf vor allem drei Gründe:

  1. Angst oder Unbehagen – Krankheit konfrontiert mit der eigenen Sterblichkeit. Viele verdrängen das lieber oder wissen nicht, wie sie damit umgehen.
  2. Fehlinterpretation von Abstand – Manche denken, man wolle seine Ruhe haben, und ziehen sich deswegen zurück.
  3. Empfindlichkeit auf Kontaktpausen – Mit Krebs fühlt sich eine längere Funkstille schnell wie Ghosting an, selbst wenn es nicht so gemeint war.

Wichtig ist, sich selbst zu fragen: Was brauche ich gerade? Wenn dich der Rückzug einer Person belastet, sprich es an. „Aber man muss auch mit den Antworten umgehen können“, sagt Mehnert-Theuerkauf. Und genau das ist oft der schwierigste Part. Wie du damit umgehst, haben wir dir schon in unserem Artikel zu Cancer Ghosting zusammengeschrieben.

Darmkrebs Image
Für Esther Meyer war Schweigen nie eine Option. Ihr Mantra „Vertrauen ist die stillste Form von Mut” begleitet sie seit der Entdeckung des Tumors. (Foto: de-fotografie.de)

Fazit: Dein Leben ist kein Tabu

Rund 55.000 Menschen erhalten jährlich in Deutschland die Diagnose Darmkrebs und über 10.000 Menschen bekommen deutschlandweit jedes Jahr ein Stoma. Millionen Menschen kämpfen mit Verdauungsproblemen oder mit chronisch-entzündlichen Darmkrebserkrankungen (CED). Und wir alle verbringen im Schnitt drei Jahre unseres Lebens auf der Toilette.

Warum also tun wir so, als wäre das Ganze nicht real? Als müsste man es totschweigen? Die Wahrheit ist: Darmkrebs ist nicht peinlich. Ghosting ist peinlich. Stigmatisierung ist peinlich.

Esther und Ramazan zeigen es vor: Je offener wir darüber sprechen, desto schneller verschwindet dieses überholte Tabu. Also, lass dich nicht zum Schweigen bringen.

Wenn du hier angekommen bist, weißt du, dass…

  • du dich nicht für Darmkrebs schämen musst,
  • Mini-Etappen dich auch zum Ziel bringen,
  • andere Betroffene auch gelernt haben, die Scham abzulegen,
  • Ghosting nichts mit dir zu tun hat und
  • Schweigen noch nie ein Tabu gebrochen hat.

Quellen und Links:

Die Produktion dieses Artikels wurde vonTakeda Pharma Vertrieb GmbH & Co. KG unterstützt, unter Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit. [EXA/DE/OG/0158]

Titelbild: Unsplash/Daria Shatova

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