11 min
Lehrgang für Patient Advocates
11 min

Du hast das Recht mitzureden – hier lernst du wie!

Wie wird man Patient Advocate? Zum Beispiel an der Universität Klagenfurt. Dort bereitet dich ein neuer Lehrgang darauf vor, dich professionell für Patient:inneninteressen einzusetzen. Was das konkret heißt, erfährst du im Interview mit zwei der Initiator:innen.

Wie wird der Lehrgang finanziert? Gibt es Möglichkeiten zur Unterstützung?

Anita Kienesberger: Die Teilnehmer:innen beziehungsweise ihre Organisationen müssen für ihre Teilnahme selbst aufkommen. Es gibt derzeit leider noch keine Stipendien.

Wir haben Vorgespräche mit der öffentlichen Hand und größeren Organisationen geführt, und ich kann mir vorstellen, dass diese eine Teilnahme am Lehrgang möglicherweise finanzieren oder teilweise unterstützen. Darüber hinaus gibt es ja auch Weiterbildungsgelder und Förderungen. 

Du bist Präsidentin von WeCan, einer Dachorganisation, die Patient Advocacy international vorantreibt. Wie schneidet Österreich bei diesem Thema ab?

Anita Kienesberger: Ich kenne in Österreich nur einen einzigen anderen Patient Advocate, der so wie ich eine Weiterbildung gemacht hat, die Ausbildung von EUPATI , die auf EU-Ebene stattfindet. Das zeigt schon: Bei uns ist das Thema sehr unterbelichtet.

Im Vergleich steht Österreich schlecht da, in Deutschland und anderen Ländern gibt es schon stabile Gruppen von Patient Advocates. Deshalb bin ich froh, dass dieser Lehrgang bei uns in Österreich eingerichtet wird. Allein dadurch bekommt das Thema schon Aufmerksamkeit, und die ist nötig.

Im Vergleich steht Österreich schlecht da. In Deutschland und anderen Ländern gibt es schon stabile Gruppen von Patient Advocates.
Anita Kienesberger
Ein Stethoskop mit einem Herz
Gesundheitswesen mit Herz? Damit das klappt, braucht es mehr Koproduktion und weniger Bevormundung. (Foto: Pexels/Karolina Grabowska)

Manche Vertreter:innen von Selbsthilfegruppen befürchten eine übermäßige Professionalisierung der Selbsthilfe. Wie gehst du damit um?

Anita Kienesberger: Professionalisierung und Weiterbildung war für mich noch nie negativ. Wichtig ist, dass wir Empathie bewahren und immer wissen, warum wir das eigentlich machen. Um zu erreichen, worauf wir alle hinarbeiten: dass die Patient:innenperspektive endlich entsprechend ihrer Bedeutung wahrgenommen wird. 

Guido Offermanns: Die klassische Arbeit der Selbsthilfe fokussiert sehr stark auf die Arbeit mit Patient:innen. Das wird sich nicht ändern. Letztendlich ist es aber das Ziel, die Patient:innensicht gesetzlich in Österreich zu verankern und Einfluss zu nehmen auf die Gesetzgebung, auf Strukturen und Prozesse im Gesundheitssystem.  

Darauf wird es ankommen, nur so kann man Verbesserungen erzielen. Die Absolvent:innen des Lehrgangs werden in der Lage sein, auf Augenhöhe mit den relevanten Akteur:innen im Gesundheitssystem zu interagieren. Sie sollen also nicht mehr nur eingeladen werden, um als Feigenblatt zu dienen.  

Das heißt: Die Rolle der klassischen Selbsthilfe soll wirksam ausgeweitet werden. Und das bedeutet: Es gibt einen Ausbruch aus den klassischen Mustern in Österreich und Deutschland. Das ist ein Prozess, der sicherlich Zeit braucht. Insgesamt bedeutet dies, dass sich die klassische Selbsthilfe und der neue Ansatz Patient Advocacy sich in idealerweise Weise, zum gegenseitigen Nutzen, ergänzen. Eine klassische Win-Win Situation. 

In welche Richtung bewegt sich das Thema Patient:inneneinbindung international?

Guido Offermanns: Ich war gerade auf einer Konferenz in Südkorea. Dort ging es um „Koproduktion“. Das ist derzeit DAS heiße Thema: Wie bekommt man Patient:innen in die Prozesse integriert, in die Qualitätssicherung, in Aspekte zur Patient:innensicherheit und wie kann man deren Erfahrungen und Kompetenzen aktiv und strukturiert nutzen?  

Das ist international „State of the Art“. Und bei uns gibt es aber Leute, die sagen: „Zuviel Bildung für PatientInnen ist eher kontraproduktiv.“ So nach dem Motto: Patient:innen sollten am besten in der Unmündigkeit gehalten werden, dann können wir die schön weiter steuern. Will man das wirklich?

Es gibt viele, auch medizinisches Personal, die sagen: Ändern wir das jetzt. Raus aus dem Mittelalter der Patient:innebeteiligung!
Guido Offermanns

Anita Kienesberger: Die EU fördert diese Entwicklung ja auch. In EU-Projekten ist vorgesehen, dass  immer eine relevante Patient:innenorganisation dabei ist. Somit sind bei solchen Projekten auch österreichische Ärzt:innen angehalten, Patient:innen immer einzubeziehen. Und wir wollen das ja auch. Um mitzubestimmen, wie das ganze Projekt dann abläuft.

Das gelingt uns bei EU-Projekten mittlerweile recht gut. Das ist nur noch nicht auf der nationalen Ebene angekommen, es muss gesetzlich verankert werden. Das wollen wir schaffen. 

Wie sieht die „ideale“ Welt aus, in der Patient:innen mehr Gehör finden?

Anita Kienesberger: Das ist einfach zu beantworten. Alle Akteur:innen im Gesundheitswesen müssen an einem Strang ziehen und die Vorteile der Einbindung von Patient:innen auf Augenhöhe verstehen. Sodass nicht mehr über sie entschieden wird. Sondern wirklich mit den Patient:innen.  

Guido Offermanns: Mir ist von den Vorbereitungsmeetings mit Patient:innengruppen der Slogan im Kopf geblieben: „Nichts ohne uns“. Und darum geht es. Ich wünsche mir, dass die Alumni, also jene, die den Lehrgang dann abgeschlossen haben werden, zu Multiplikator:innen und eben „Advocates mit starker Stimme“ werden.

Dass sich die Szene vergrößert und der Einfluss nach und nach zunimmt. Und dass sich langfristig eine unverzichtbare eigene Säule namens Patient Advocacy in Österreich etabliert. Auch im Gesetz. Ich wünsche mir, dass wir etwas anstoßen können, dass das System nach und nach verändert. Hierfür braucht es aber auch Commitment aus dem System selbst. Wir sind bereit den steinigen Weg zu gehen und jede Unterstützung dafür ist willkommen. 

Was fordert Kurvenkratzer? 

“Wir arbeiten darauf hin, dass sich Patient Advocacy – also die patient:innengetriebene Interessenvertretung – im gesamten deutschsprachigen Raum als fixer Bestandteil im Gesundheitswesen etabliert.

Damit Mitsprache auf Augenhöhe funktioniert, muss es mehr Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten wie den Uni-Lehrgang in Klagenfurt geben. Damit diese nicht zur Gänze von finanzschwachen Patient:innenorganisationen selbst getragen werden müssen, fordern wir Förderungen und Stipendien durch die öffentliche Hand.”  

Auf einen Blick: Der Lehrgang “Patient Advocacy – Management in Patient:innenorganisationen”

Wo: Universität Klagenfurt (hybrid)
Dauer: 3 Semester
Beginn: Sommer- oder Wintersemester 2024
ECTS: 60
Kosten: 4.900 Euro pro Semester
Voraussetzung: Fundierte Praxiserfahrung in Selbsthilfegruppen und Patient:innenorganisationen oder abgeschlossenes Studium mit Bezug  zum Thema des Lehrgangs. Siehe Curriculum. 

Der Lehrplan ist in folgende Module mit entsprechenden Lehrveranstaltungen eingeteilt:  

  • Einführung in evidenzbasierte Patient Advocacy
  • Management und Betriebswirtschaft in Patient:innenorganisationen
  • Patient:innenorganisationen und Forschung
  • Gesundheitsökonomie und -politik, Arzneimittelentwicklung und Recht
  • Unterstützung für Patient:innen in der Patient Journey
  • Information und digitale Gesundheitskommunikation
  • Supervision und Aufarbeitung der Praxis
  • Facheinschlägige Praxis in einer Gesundheitsorganisation

Abgeschlossen wird der Lehrgang mit einer Abschlussarbeit sowie einer kommissionellen Prüfung. Absolvent:innen tragen den Titel „Akademische:r Expert:in in Patient Advocacy – Management in Patient:inenorganisationen“.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Pixabay

Über die Serie

Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in.

So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können.

Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.

Mit  dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.

Jetzt teilen