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Das Gesundheitswesen schreibt Tagebuch
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Föderalala – das Land der 1.000 Zuständigen

„Warum muss ich mich in jedem Bundesland an andere Regeln halten?” Das fragt sich das Gesundheitswesen im zweiten Tagebucheintrag. Dazu spricht es mit Gesundheitsökonom Thomas Czypionka. Und muss danach zur Therapeutin. Die schickt es auf eine Odyssee – eine Reise zu sich selbst.

Mir wird langsam schwindelig. So viel zu tun… Am liebsten würde ich mich verkriechen. Und mich nur noch um meinen Bonsai kümmern, statt den Föderalismus zu kitten. Hab ich dir schon geschrieben, dass das die einzige Leidenschaft ist, die ich noch habe? Bonsai schnipseln, dazu laut Grunge aus den Neunzigern hören. But I’m a creep…” 

Ein Tagebuch mit einer schwarzen Regenwolke, die wie ein Bonsai-Bäumchen aussieht.
"Am liebsten würde ich mich verkriechen. Und mich nur noch um meinen Bonsai kümmern, statt den Föderalismus zu kitten." Illustration: Lena Kalinka

Rosige Aussichten 

Ich reiße mich zusammen. Zu einer letzten Frage raffe ich mich noch auf. Ein Blick in die Zukunft kann ja nicht schaden. Wie wird es mir, dem Gesundheitswesen, im Jahr 2050 gehen? Thomas Czypionka muss nicht lange überlegen. “Entweder steht es wirklich ziemlich schlecht da, weil wir zu wenig geändert haben. Oder wir schaffen es jetzt, die Weichen für die Zukunft zu stellen.” Er betont das JETZT, schreit es fast in die Kamera. 

Okay. Shit. Wenn es sonst nichts ist… Ich bedanke mich bei meinem Gesprächspartner und verabschiede mich. Klappe mein MacBook zu. Und auch ich klappe zusammen.  

Meine Lage ist schlimmer als gedacht. Ich stecke eindeutig in der Zwickmühle. Wie komme ich da raus? Jeder Versuch, das System zu verbessern, ist zum Scheitern verurteilt, weil es zu viele Mitredner:innen gibt. “Veto-Player”, hatte Thomas Czypionka sie genannt. Die Länder, der Bund, die Ärztekammer… ahhh. 

Ich schaffe das (nicht).
Das Prinzip Hoffnung schaut anders aus. Ob die Therpeutin helfen kann? Illustration: Lena Kalinka

Ausgebrannt 

Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Also gehe ich zu einer Therapeutin 

Die stellt mir erst mal viele Fragen. Energieverlust, reduzierte Leistungsfähigkeit? Check. Gleichgültigkeit, Zynismus, Unlust? Absolut. Symptome wie Schwitzen, Kopfschmerzen, Schlafprobleme? Hell, yeah. “Fühlst du dich an deiner Arbeitsstelle wertgeschätzt?” Haha! 

So geht das eine ganze Weile. Schließlich das Ergebnis: Burn-out, Phase 2. Und ich frag mich bloß: Wann war Phase 1?

Burn-out

Darunter versteht man ein Syndrom mit verschiedenen Beschwerden. Es handelt sich jedoch um keine eigenständige Erkrankung. Fachleute verstehen darunter ein Zusammenwirken von mehreren Beschwerden. Dabei steht meist die Erschöpfung im Mittelpunkt. Die wichtigsten Symptome sind Erschöpfung, verringerte Leistungsfähigkeit und die Entfremdung von der Tätigkeit (zum Beispiel von der Arbeit).

Bei der nächsten Session stellt die Therapeutin mir noch eine letzte Frage. Ganz banal eigentlich – aber sie sollte alles verändern: “Was sind deine Stressoren?” Dann gibt sie mir eine Aufgabe: Finde heraus, was dich überfordert, dann packst du dein Problem an der Wurzel.  

Zwei Tipps gibt mir die Therapeutin noch mit auf den Weg. Erstens: Suche nicht nur nach Fehlern. Beachte auch das Schöne. Und zweitens: Schreibe Tagebuch. Halte fest, was du über dich herausfindest. Ich: Damit habe ich zumindest schon begonnen. Sehr schön. 

Der Aufbruch 

Da bin ich nun also. Ich stehe am Anfang meiner Reise, und fühle mich wie am ersten Schultag. Ich habe einen Plan: Ich werde mich mit den Menschen unterhalten, die auf mich angewiesen sind. Die an mir verzweifeln – oder mir das Leben verdanken. Die mich motivieren – oder mich nerven. Tag für Tag, Episode für Episode werde ich mich vorarbeiten. Bis die Puzzlestücke ein Gesamtbild ergeben. Das mir zeigt, wo ich mich verbessern kann. Was ich schon richtig gut mache. Und es mir schließlich ermöglicht, einen neuen Weg für mich zu finden. Eine Zukunftsvision. Für uns alle.  

OK, bevor es jetzt kitschig wird, lege ich mal los. 

Was nehme ich mir heute also mit? 

  • Föderalismus kann sinnvoll sein – aber eher nicht im Gesundheitswesen. 
  • Jedes Bundesland baut eigene Krankenhäuser
  • Welche Medikamente du bekommst, ist manchmal abhängig vom Spital
  • In Dänemark werden immer mehr Krebspatient:innen zuhause behandelt.  
  • Bei uns geht das nicht. Grund: It’s complicated. 
  • Bleibe positiv! Es kann nur besser werden. 

Quellen und Links:

Titelbild: Lena Kalinka

Über die Serie

Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.

In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.

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