Außer Spesen nichts gewesen
Von Luft und Liebe allein kann man nicht leben. Oder halt, doch: Patient:innenorganisationen schaffen das. Weil sie müssen: Für ihre Arbeit bekommen sie nämlich wenig bis gar kein Geld vom Staat. In diesem Artikel liest du, warum sich das ändern muss – und wo das schon klappt.
Dass man von Luft und Liebe allein nicht überleben kann, wurde in Deutschland bereits erkannt. Hier gibt es – wie in einigen anderen EU-Ländern – eine geregelte Basisfinanzierung für Patient:innenorganisationen und Selbsthilfe. Im fünften Buch des Sozialgesetzbuches ist festgeschrieben, dass die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände Selbsthilfegruppen und -organisationen fördern müssen.
Millionen Euronen
Das heißt: Wenn du zu den vielen Menschen in Deutschland gehörst, die sich in der Selbsthilfe engagieren, kannst du für deine Gruppe Geld beantragen. Dafür müssen die Sozialversicherungen allein 2024 rund 95 Millionen Euro berappen (wer es genau wissen will: pro versicherter Person 1,28 Euro).
Das ist für dich und uns eine Menge Geld. Bedenke aber: Wir leben in einem 85-Millionen-Einwohner:innen-Land, in dem sich dreieinhalb Millionen Menschen in über 100.000 Selbsthilfegruppen und Patient:innenorganisationen engagieren. Es gibt also noch Luft nach oben.
Wir lieben Basisfinanzierung
Was Deutschland aber eindeutig besser macht als Österreich (kannst du auf Seite 1 dieses Artikels nachlesen): Die Mittel werden nicht nur projektbezogen vergeben. Per Gesetz müssen mehr als zwei Drittel der Mittel als sogenannte “Pauschalförderung” vergeben werden. Sprich: für Mieten, Büroausstattung, Sachkosten, Schulungen, und ja, auch für Personalausgaben. Viel Liebe dafür aus der Kurvenkratzer-Redaktion.
Okay, für Personalkosten allein solltest du kein Geld beantragen. Denn: “Anträge, die ausschließlich auf Personalstellenförderung lauten, können nicht berücksichtigt werden.” (© Förderleitfaden)
Digitale Lösungen und die Förderung der digitalen Gesundheitskompetenz werden übrigens explizit begrüßt und sollen “verstärkt im Fördergeschehen berücksichtigt werden.” Wie schon Neil Armstrong sagte: Ein kleiner Schritt für die Menschheit – ein großer für Deutschland.
So beantragst du Fördergeld für deine Selbsthilfegruppe
Wenn du jetzt auf den Geschmack gekommen bist, und für deine Selbsthilfegruppe Geld beantragen willst, wirf am besten einen Blick auf unsere Checkliste zur Pauschalförderung in Deutschland.
Skandinavischer Jackpot
Und woanders? Ein Blick über den Tellerrand offenbart: Es gibt mitunter sehr kreative Finanzierungsmodelle. Lottospielen zum Beispiel.
Lottospielen. Ja, klar. Aber genau das hat unsere Recherche für den Artikel “Mitsprache: Woanders ist das Gras immer grüner” ergeben. Dabei erzählte uns die finnische Advocacy Spezialistin Emma Andersson vom Verband der Krebspatient:innen in Finnland, woher in ihrer Heimat soziale Organisationen ihr Geld bekommen. Glückspiel also.
Wer jetzt glaubt, finnische Patient:innenorganisationen hoffen auf einen Lottogewinn, liegt falsch. Vielmehr werden mit den Millionen, die die staatliche Lotterie einnimmt, soziale Initiativen gefördert.
Glückspiel-abhängig
Vom lokalen Sportverein über Theatergruppen bis hin zur landesweiten Patient:innenorganisation erhalten auf diese Weise alle Vereine und Initiativen fixe Zuwendungen, sowohl für die Basisfinanzierung (Emma Andersson: “Die finanziert mein Gehalt”) als auch für einzelne Projekte. Frei nach dem Motto: Wer dem Glücksspiel frönt, soll auch einen sozialen Beitrag leisten.
Ob mit diesen Mitteln auch Selbsthilfegruppen für Spielsüchtige finanziert werden, konnten wir nicht herausfinden. Das finnische Modell ermöglicht es Patient:innenorganisationen jedenfalls, professionelle Strukturen aufzubauen.
Auf der letzten Seite erfährst du, welche Rolle Pharmaunternehmen bei der Finanzierung spielen.
Über die Serie
Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in. So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können. Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.
Mit dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.