Nicht der schönste Körperteil des Mannes?
Robert hat Hodenkrebs. Gleich zwei Mal hintereinander, beide Hoden werden entfernt. Ein Einschnitt in die Männlichkeit. Doch er erhält Hodenimplantate und erzählt, wie das Leben mit seinen „neuen Eiern“ aussieht.
Ein Jahr nach der Erstdiagnose ist der Hodenkrebs zurück. Unfruchtbarkeit steht im Raum. Hormonersatztherapie. Und was ist mit dem Kinderwunsch?
Gefühlt zurück zum Start
„Scheiße, eigentlich hätte nichts mehr kommen sollen“, sagt Robert. Das Vertrauen in seine Ärzt:innen und deren Aussagen ist erschüttert. Die Tumormarker sind negativ, also hat der Krebs wahrscheinlich nicht metastasiert. Wieder wird ihm zur Eile geraten. Erhaltend zu operieren habe keinen Sinn, erzählt Robert vom Arztgespräch, „dann bliebe nur noch Hackfleisch übrig“.
Werden einem Mann beide Hoden entfernt, führt dies zu Unfruchtbarkeit. Deshalb wird vor einer Hodenamputation empfohlen, Samenflüssigkeit einfrieren zu lassen (Kryokonservierung). Die Entfernung beider Hoden wird Kastration genannt, wodurch der Mann unfruchtbar wird. Ohne Hoden ist der Testosteronspiegel um bis zu 90 % reduziert.
Robert wechselt das Krankenhaus. Sein neuer Arzt beruhigt: Es sei keine Frage, wie lange er noch zu leben hätte – auch jetzt wäre der Krebs noch heilbar. Trotzdem müsse er sich bald entscheiden. Robert hat zwar keinen brennenden Kinderwunsch, aber es „wäre blöd, wenn es jetzt durch die Diagnose entschieden wäre“, erzählt er, und lässt seinen Samen kryokonservieren.
Wie groß darfs denn sein?
Entgegen seiner früheren Einstellung zum Implantat will Robert nun unbedingt Hodenprothesen haben. „Jetzt bekomme ich was, oder?“, fragt er den Arzt, erntet aber Unverständnis. Es wären zwei Schnitte nötig, das verkompliziere die Operation, zahlreiche Diskussionen folgen. Robert will sich die Hodenimplantate ansehen, angreifen, es sind jedoch keine abgelaufenen lagernd.
Sprüche wie „Dafür musst du Eier haben“ treffen Robert. Er will „sich selbst als Mann fühlen“, sagt er. Das wäre mit einem leeren Hodensack schwierig. Er stellt sich vor, dass er „ohne Sack komischer aussieht, als mit Implantaten.“ Also entscheidet er sich für Hodenprothesen und überlässt die Entscheidung über die Größe seinem Chirurgen: „Die größten die es gibt und noch vernünftig zu meinem Körper passen.“
„So eine Morgenlatte wär schon cool mal wieder“
Die Hodenimplantate werden eingesetzt, Robert ist höchst zufrieden mit dem Ergebnis. Sein Körper ist nach der Operation krebsfrei. Die neuen Tumoren haben keine Metastasen gebildet. Er braucht keine weitere Krebstherapie. Aber seine Angst bei der Erstdiagnose, dass er nach der Hodenentfernung keine Erektion mehr hätte, wird jetzt schlagend. Es rührt sich absolut gar nichts, sein Penis wird nicht steif. „Ich hatte dieses Eunuchenbild im Kopf.“
Nach der Genesung von der Operation startet die Hormonersatztherapie, genauer gesagt die Testosteronersatztherapie. Einmal im Quartal wird Testosteron gespritzt. Als Robert nach der ersten Injektion am Morgen aufwacht, ist er erfreut: „Hey, geil, ich hab eine Erektion.“
Wieder voll männlich fühlen
Heute kommt Robert mit der Testosteronersatztherapie gut zurecht. Sexualität steht in seinem Leben wieder mehr im Vordergrund. Die Hodenimplantate liegen perfekt im Hodensack und fühlen sich sehr echt an. Das Gefühl am Hodensack ist zwar anders, weniger erogen als vorher, aber das stört beim Sex nicht besonders. „Ich bin jetzt halt schwanzgesteuerter“, erzählt er und lacht. Und er kann sich wieder männlich fühlen.
Obwohl seine Freunde wissen, dass Robert jetzt „die größeren Eier“ hat, geht es ihm nicht um Machogehabe. „In Wahrheit ist es scheißegal. Das macht Männlichkeit nicht aus“, ist er überzeugt. „Eier zu haben“, habe primär nichts mit den Organen zu tun. Es ginge darum, „Mut zu haben“, sagt Robert, und überlegt, aus dem stressigen Job auszusteigen. Denn nach all der Bewusstwerdung der Sterblichkeit möchte er „mehr Zeit haben und Wert auf den Spaß im Leben legen.“
Quellen:
- Patientenratgeber zu Hodenkrebs/Hodenkarzinom (urologenportal.de)
- Orchiektomie: Notwendigkeit, Operationstechnik und Hintergrund (DocCheck Flexikon)
- Seminome, Nicht-Seminome und Co – Keimzelltumoren des Mannes: Diagnostik, Stadien, Therapie, Prognose (onkopedia)
- Kastration: Definition, Formen und Folgen (DocCheck Flexikon)
- Was ist Kryokonservierung? (DocCheck Flexikon)
- Wie läuft eine Testosteronersatztherapie ab? (DocCheck Flexikon)
Zum Weiterlesen:
- Wie es sich anfühlt, als junger Mann die Hoden entfernt zu bekommen (VICE)
- Geschwollene Eichel, Peniskrebs mit 36: „Es ist nicht alles so schwarz wie gedacht“
- Gegen die Kryokonservierung entschieden: Schwanger trotz Chemo bei der Leukämie-Therapie
Titelfoto: Privat
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Über die Serie
Stark sein? Runterschlucken? Das Schicksal ertragen? Wir von Kurvenkratzer bekommen latenten Brechreiz, wenn wir derartige Sprüche hören. Und warum flüstern wir, wenn wir über Krebs reden? Ja, Krebs ist in unserer Gesellschaft leider noch immer ein Tabu. Studien zufolge trifft aber jeden zweiten Menschen im Laufe seines Lebens eine Krebserkrankung. Krebs ist also alles andere als eine gesellschaftliche Nische.
In unseren Interviews sprechen wir mit Menschen, die Krebs am eigenen Leib erfahren haben oder nahe Betroffene sind. Wir reden mit ihnen über den Schock, den Schmerz, Hilfe zur Selbsthilfe, Humor und Sexualität, sowie darüber, wie es gelingt, Mut und Hoffnung zu finden. Damit möchten wir dich motivieren: Wenn du das Gefühl hast, über deine Erkrankung sprechen zu wollen, dann tu es. Du bist nicht allein.