Yes Sir, I Can Study
Ein Studium für Krebsbetroffene? Nicht eines, mehrere Studien. Scherz beiseite, es geht um klinische Studien. Was klinische Studien sind, wie du als Krebspatient:in mitmachst und warum sie lohnend sein können.
Die Entwicklung von Medikamenten ist unglaublich aufwendig. Neue Wirkstoffe werden erst im Labor, später in der Praxis getestet. Genauso ist es bei Krebstherapien. Mit breit angelegten Forschungen ist es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, wirksame Mittel gegen viele Krebsarten zu finden. Krebs kann damit heute oft geheilt werden. Wie das gelingt? Kurz gesagt: mit klinischen Studien.
Wozu braucht es klinische Studien?
Klinische Studie, die. In einfachen Worten: Wissenschaftlich anerkannter Prozess, um neue Wirkstoffe und Behandlungsmethoden in der Medizin zu erforschen und bestehende zu verbessern.
Nach dieser recht trockenen Definition, lass uns nun das Thema klinische Studien studieren. Auf geht’s, es ist in Wahrheit ganz easy.
Wie ist eine klinische Studie aufgebaut?
Achtung: In klinischen Studien werden prinzipiell Placebos verwendet. Bei Krebsstudien werden sie aber nur sehr selten eingesetzt. Es wäre ethisch nicht vertretbar, Krebspatient:innen wichtige Therapien vorzuenthalten. Wer eine Behandlung benötigt, erhält sie.
Stell dir eine klinische Studie wie das Entzaubern der Magie vor, die in medizinischer Forschung steckt. Aus Alchemie wird ein wissenschaftlicher Prozess. Es wird kontrolliert, ob auch wirklich alles so funktioniert, wie gedacht. Das ist das erste Qualitätskriterium von Studien: Sie sind kontrolliert. Die Teilnehmenden werden in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe wird nach dem neuen Verfahren behandelt (Interventionsgruppe), die zweite Gruppe (Kontrollgruppe) erhält die herkömmliche Behandlung (nach dem Stand der Wissenschaft) oder ein Scheinmedikament (Placebo).
Die Angst vor dem Placebo
Es wird in der Medizin als vollkommen unethisch angesehen, Patient:innen nicht nach dem Stand der Wissenschaft zu behandeln oder ihnen bewusst notwendige Behandlungen vorzuenthalten. Bei Krebsstudien werden nur in Ausnahmefällen Placebos verabreicht: Wenn es keine wirksame Therapie gibt, wenn ergänzend zur Standardtherapie ein zusätzliches Medikament erprobt wird oder wenn ein geringes Risiko für die Gesundheit von Patient:innen besteht.
Um die Wirksamkeit neuer Medikamente unvoreingenommen zu überprüfen, ist ein gutes Studiendesign randomisiert. Das heißt: Teilnehmende Patient:innen sind den beiden Gruppen zufällig zugeteilt. Es wird darauf geachtet, dass die Gruppen vergleichbar sind (zum Beispiel was Alter, Geschlecht und Prognose anbelangt). Wissen die Studienteilnehmenden nicht, in welcher Gruppe sie sind, ist es eine verblindete Studie. Ein weiteres Qualitätskriterium. Weiß auch das medizinische Personal nicht Bescheid, handelt es sich um eine doppelblinde Studie.
Der anerkannte Goldstandard in der medizinischen Forschung sind kontrollierte, randomisierte und doppelblinde Studien.
Wird eine Studie an mehreren Institutionen durchgeführt, trägt sie außerdem das Attribut multizentrisch. International werden randomisierte kontrollierte Studien RCT (Randomized Controlled Trial) genannt. Und weil wir bei Abkürzungen sind: BSC solltest du auch noch kennen. BSC (Best Supportive Care) bedeutet, dass du in Studien auf jeden Fall die bestmöglichen unterstützenden Behandlungen erhältst, selbst wenn du in der Kontrollgruppe bist.
Vorklinische vs. klinische Studien
Bevor es überhaupt zu klinischen Studien kommt, werden umfangreiche Tests in Labors durchgeführt – etwa „in der Petrischale“ (vielleicht hast du diesen Begriff schon einmal gehört). In dieser vorbereitenden Phase werden noch keine Versuche an Lebewesen durchgeführt, also auch nicht am Menschen. Solche Vorarbeiten heißen vorklinische oder präklinische Studien.
Was bringt mir die Teilnahme an einer Studie?
Je nach Tumorart, Prognose oder nach der Standardtherapie kann es sein, dass es für dich im Moment keine oder keine weitere Therapie gibt. Oder es wird bei deiner Krebsart abgewartet, wie sie sich entwickelt, bevor du behandelt wirst („watchful waiting“, „wait and see“). Bist du in solch einer Situation, kann die Teilnahme an einer Studie die Behandlungschancen erhöhen. Eventuell bekommst du ein neues Medikament, das Metastasen verhindert, den Tumor verkleinert oder die Erkrankung sogar heilt. Das könnte deine theoretisch Prognose verbessern.
Welche Phasen klinischer Studien gibt es?
Neue Krebstherapien werden im Rahmen von klinischen Studien in vier verschiedenen Phasen erprobt, die aufeinander aufbauend sind. Damit neue Medikamente offiziell für die Verwendung zugelassen werden, müssen sie alle Phasen durchlaufen.
Zuerst wird das neue Medikament einer kleinen Gruppe von Patient:innen gegeben. Dabei wird erforscht, in welcher Menge das Medikament dosiert werden muss und wie es der menschliche Körper verarbeitet. Gibt es für eine Krebserkrankung noch keine wirksame Therapie, kann dies die Chance sein, ein erstes erfolgversprechendes Medikament zu erhalten. Die Teilnahme kann aber auch erhebliche Risiken haben. Es ist wichtig, sich ausreichend über alle Vor- und Nachteile zu informieren.
In der nächsten Phase wird die in Phase I probierte Dosierung des Medikaments weiter an Patient:innen erforscht. Ziel einer Phase-II-Studie ist es, die optimale Dosierung und deren Bandbreite für einen Großteil der zu behandelnden Menschen herauszufinden.
Die dritte Phase ist der letzte Schritt vor der Zulassung des neuen Medikaments. Mit einer Aufteilung in Therapiegruppe und Kontrollgruppe (kontrollierte Studie, siehe weiter oben) soll die Wirksamkeit des neuen Medikaments belegt werden. Anhand bestimmter Ein- und Ausschlusskriterien (siehe weiter unten) wird eine größere Anzahl an Patient:innen (100 bis 1.000) in die Studie aufgenommen, als in den vorangegangenen Phasen. Mit dem Ergebnis einer Phase-III-Studie wird entschieden, ob ein Medikament für die offizielle Anwendung zugelassen wird oder nicht.
Wird ein Medikament nach der Zulassung weiter erprobt, passiert das in einer Phase-IV-Studie. Jetzt dürfen auch Menschen teilnehmen, die davor ausgeschlossen wurden (etwa aufgrund des Alters, der Prognose, wegen weiterer Erkrankungen oder Kinder). In dieser Phase lassen sich durch den nochmals größeren Personenkreis seltenere Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten finden.
Neben Phase-IV-Studien werden in der Krebsforschung auch Therapieoptimierungsprüfungen (TOP) durchgeführt. Verschiedene anerkannte und praxiserprobte Behandlungsmethoden werden dabei in anderer Reihenfolge oder unterschiedlicher Dosierung kombiniert. Ziel solcher Verfahren ist, Heilungschancen oder die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern.
Wo findest du Informationen zu klinischen Studien? Wie kannst du an einer Studie teilnehmen? Lies weiter auf der nächsten Seite.
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Über die Serie
Eine Krebsdiagnose schlägt wie ein riesiger Meteorit in das Leben von Betroffenen und Angehörigen ein. Wer damit konfrontiert wird, weiß im ersten Moment nicht, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Das ist komplett normal. Bisher schien alles so toll in geradlinigen Bahnen zu verlaufen. Nun sind vom einen auf den anderen Tag die Prioritäten total verschoben.
Kurvenkratzer reicht dir mit dieser Checklisten-Serie Tipps für die Bewältigung des Schocks. Wir haben praxiserprobte Hilfestellungen für die häufigsten Situationen während einer Krebserkrankung für dich auf Lager – vom medizinischen Gespräch bei der Diagnosestellung bis zum Reha-Aufenthalt in der Nachsorgephase. Und wir geben Impulse, wie dir ein achtsamer Umgang mit der Erkrankung gelingt.
Bitte beachte: Krebs ist höchst individuell. Die auf diesen Seiten enthaltenen Informationen stellen keine verbindliche und vollumfängliche medizinische Auskunft dar. Bitte berate dich betreffend deiner Therapieentscheidung jedenfalls mit deiner Ärztin oder deinem Arzt. Kurvenkratzer übernimmt keine Haftung für Fehlbehandlungen.