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Letzte Wünsche
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Holla, die Wunschfee: Sterben mit Happy End

Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod. Und doch haben wir alle eines gemeinsam: den Wunsch, dass alles rund wird, bevor man abtritt. Und dann gibt es Menschen, die ihr Leben dafür geben, Sterbenden die letzten Wünsche von den Lippen abzulesen. Chapeau! 

Wunsche erfüllen braucht Charakterstärke 

Maria sieht es als ihre Aufgabe, zwischen den Zeilen zu lesen, Bedürfnisse und Unfertiges zu erahnen. “Oft sind es Kleinigkeiten. Ich versuche einfach, da zu sein, auf die Sterbenden einzugehen und zuzuhören. Ich finde, weniger reden ist oft mehr. Manchmal weint man auch gemeinsam. Man sollte da wirklich keine Berührungsängste haben.”  

Das alles ganz unabhängig von Religion und Herkunft, denn Maria urteilt nie über die Lebenssituation ihrer Klient:innen.  

Pflegerin, die vor einer Frau im Rollstuhl hockt.
Die Erfüllung des letzten Wunsches kann nochmal ganz viel Kraft geben. In einer von Marias Geschichten hat sich der Zustand einer Hospizbewohnerin danach sogar drastisch verbessert. (Foto: Pexels Judita Mikalkevice)

Sterbende zahlen in Dankbarkeit 

Die strahlenden Augen, die Maria, genauso wie Hannah, nach einem erfüllten Wunsch anblitzen, erwecken in beiden unbeschreibliche und wunderschöne Gefühle. Die Konfrontation mit den Urängsten vor dem Tod legt emotionale Tiefen frei, die Menschen unterschiedlichster Prägung auf die ehrlichste Art und Weise miteinander verbindet. 

Hospizarbeit greift also tief ins Gefühlsleben ein, soviel steht fest. Aber für Maria gibt es nichts Erfüllenderes: “So viel Dankbarkeit wie im Hospiz bekommt man nirgendwo sonst. Obwohl die Klient:innen wissen, dass sie sterben, jammern sie nicht so viel wie draußen, wo alle alles haben. Jedes Mal, wenn ich rausgehe, denke ich mir: ‘Danke, dass es mir gut geht’. Ich werde diese Arbeit so lange machen, wie ich kann.” 

Eine kleine Wunschgeschichte

Willy Schuster vom Hospiz St. Martin, 87 Jahre jung

…hat einen ganz besonderen Patienten über mehrere Jahre begleitet. Der folgende Text wurde von ihm als Bericht über seinen Klienten verfasst.  

“Sag, lebst du gerne?” 

“Ja, ich hab’ da ja alles.” 

Das bemerkenswerte Leben meines Klienten.  

(von Willy Schuster)

Nach Abschluss einer Schlosserlehre beginnt er, sich als typisches Kind der 68iger-Generation, mit den damaligen sozialen und demokratischen Verhältnissen auseinanderzusetzten. Erweitert durch die Suche nach der Wahrheit und einer ,,anderen Wirklichkeit“ mit Yoga und Meditation, findet er Unterstützung durch den Genuss von LSD, Hanf, Mohn etc. Er arbeitet jeweils nur ein halbes Jahr in Österreich, die andere Zeit lebt er in Afrika, Chile, Japan, Mexiko, Thailand und Australien und sammelt weiter wichtige Erfahrungen.  

Er möchte seine ihm wichtigen Erkenntnisse, wie Widerstand gegen heilige Kriege, Fanatismus und Hetzpropaganda, den Schutz von Minderheiten, Gleichstellung von Alkohol mit Drogen („Die Dosis macht das Gift”) vorwiegend am Stephansplatz verkünden und scheitert an der Ordnungsmacht. Er beginnt 1986 alle in seinem Leben gewonnenen Wahrheiten in einer Broschüre zusammenzufassen, zu verteilen und sendet einige Exemplare an die österreichische Nationalbibliothek.  

Zwölf Jahre später – 1998 – kippt sein Leben jäh aus der Normalität. Er geht aufrecht zu einer harmlosen OP ins Spital und kommt im Rollstuhl querschnittgelähmt heraus. Der Hanf wird nun sein treuer Begleiter, er macht ihn aber nie süchtig. 2010 erleidet er einen Schlaganfall, fortan kann er nur mehr seine rechte Hand bewegen und kommt ins Pflegeheim. In der Zwischenzeit wird seine Mietwohnung geräumt und er verliert alles.  

Bei einem unserer Gespräche frage ich ihn, was ihm jetzt besonders fehlt. Er weiß es sofort. Er hat leider keine Familie gegründet und kein einziges Exemplar seiner Broschüre behalten. Sie würde ihn daran erinnern, wie reich, bunt und abenteuerlich sein Leben war und ihm seine jetzige Situation erleichtern. Was für ein Auftrag, habe ich gedacht. Familie geht nicht mehr, aber vielleicht die Broschüre.  

Es war schwieriger als gedacht, er hatte den eingereichten Titel vergessen. Viele Tage mit vergeblichen Versuchen folgten, jeweils in allen Sparten der Österreichischen Nationalbibliothek bis zum letzten Versuch: ,,Das Hanfblatt“ und siehe da – das war der richtige Titel. Mir ist nur mehr ein wenig Arbeit mit viel Freude geblieben. Die 87 Seiten drucken, mit farbigem Einband und Spirallochung hübsch aufbereiten und dann meinem überraschten Klienten übergeben.  

Das Titelblatt einer Broschüre, die
Das Hanfblatt enthielt alle möglichen Erkenntnisse, die Willys Klient aus seinem intensiven Leben gewonnen hat. (Foto: Willy Schuster)

Bis 2019, im Alter von 77 Jahren, wird Willys Klient noch unter den Lebenden weilen. “Da er einige Jahre in Australien gearbeitet hat, habe ich mit der australischen Pensionsstelle Kontakt aufgenommen, um seine dort erworbene Pension für ihn freizubekommen. Kurz bevor ich einen Erfolg erzielen konnte, ist er wie das Leben so spielt gestorben.”  

“Freude lässt sich nur voll auskosten, wenn sich ein anderer mitfreut.”
Mark Twain

Sterben ist Willenssache 

Hört man den Geschichten der drei Wunschfeen zu, wird man den Eindruck nicht los, dass viele Sterbende beim Zeitpunkt ihres Todes ein Wörtchen mitzureden haben. Der eigene unbeirrbare Willen treibt die Organe noch ein letztes Mal an, den letzten Wunsch zu erfüllen, sei er noch so klein.  

Eine alte Frau, die früher in Marias Siedlung wohnte, fragte sie immer wieder: “Kummst bei mir a, wenn’s so weit is?” Als die Frau immer stiller wurde und nichts mehr essen wollte, kam Maria eines Morgens zu ihr ins Zimmer. Sie blieb länger bei der alten Dame und erhielt nur noch knappe Antworten. “Bis 11:00 kann ich noch bei dir bleiben, danach muss ich zu den Kindern.” Pünktlich um halb elf ist die Frau verstorben. 

Ende gut, alles gut. 

Über die Serie

Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.

Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.

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