Palliativ: Erste Klasse für Reisende ohne Rückfahrkarte
Es gibt Wörter, die schmerzhafte Beklemmungen auslösen können. „Palliativ“ ist so eine Daumenschraube der Hoffnung. In diesem Artikel befreien wir uns von den ollen Horrorstorys, erklären, warum in der Palliativversorgung neue, ganzheitliche Wege gegangen werden und wir das Wort „austherapiert“ hinter uns lassen.
Welche Möglichkeit der palliativen Versorgung passt zu mir?
Hospize – Wohlfühlorte in schweren Zeiten
Hospize sind wie Oasen für alle, die keine Intensivpflege benötigen, gleichzeitig aber nicht zuhause bleiben wollen oder können Hier wird rund um die Uhr dafür gesorgt, dass es den Patient:innen an nichts fehlt und sie ihre Zeit so angenehm wie möglich verbringen können.
In Österreich gibt es rund 370 Hospiz- und Palliativeinrichtungen, in Deutschland sind es ca. 340 Palliativstationen in Krankenhäusern und 260 stationäre Hospize für Erwachsene sowie 19 stationäre Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Gleichzeitig gibt es etwa 1.500 ambulante Hospizdienste – 900 von Krankenkassen gefördert, der Rest wird ehrenamtlich getragen.
- Palliativstationen in Krankenhäusern – volles Programm bei Intensivpflegebedarf
Viele Krankenhäuser haben spezielle Palliativstationen, die sich um Patient:innen mit schweren und unheilbaren Erkrankungen kümmern. Hier gibt es intensive medizinische und pflegerische Betreuung sowie psychosoziale Unterstützung – das volle Programm!
- Ambulante Palliativdienste – Hilfe kommt nach Hause
Für alle, die lieber in ihrer gewohnten Umgebung bleiben möchten, gibt es ambulante Palliativdienste. Diese Teams besuchen dich regelmäßig zu Hause und bieten umfassende Unterstützung. So kannst du in den eigenen vier Wänden bestmöglich versorgt werden.
- Palliativmedizinische Konsiliardienste – stationäre Beratung
In Krankenhäusern gibt es auch spezialisierte Teams, die andere Abteilungen beraten und unterstützen. Sie helfen dabei, palliative Maßnahmen in den Behandlungsplan zu integrieren und sorgen dafür, dass die bestmögliche Versorgung gewährleistet ist.
- Tageshospize und Palliativzentren – Tagsüber betreut, abends zu Hause
Tageshospize bieten tagsüber Betreuung, abends kannst du nach Hause zurückzukehren. Diese Einrichtungen bieten eine Mischung aus medizinischer Versorgung, Therapien und sozialen Aktivitäten.
Das 4-Phasen-Modell der Palliativpflege
Die deutsche Palliativmedizinerin Ingeborg Jonen-Thielemann beobachtete vier typische Phasen, die in der letzten Lebenszeit auftreten können.
Trigger-Warnung: Wir können und wollen nicht berechnen, wie lange eine Palliativsituation andauert. Jeder Mensch, jedes Leben, jede Erkrankung ist einmalig. Vielleicht willst du trotzdem wissen, welche Erfahrungen in der Palliativforschung gemacht wurden.
- Symptomkontrolle
- Erhaltung der Mobilität
- Weitgehend Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
- Grunderkrankung ist fortgeschritten, wird nicht weiter behandelt
- Lebensverlängerung ist nicht mehr Ziel
- Behandlung von Symptomen, um Lebensqualität zu verbessern
- Krankheit weit fortgeschritten
- Nur noch Symptome mildern
- Prophylaktische Maßnahmen werden eingestellt
- Tod tritt in den nächsten Stunden ein
- Maximale Versorgung der Symptome
- Sedierung wenn Angstzustände zu groß
Palliativ, was jetzt? Endlich Klartext reden
Egal für welche Form der palliativen Versorgung du dich entscheidest, deine Bedürfnisse bestimmen, wo’s lang geht. Mach dir bewusst, was für dich jetzt am wichtigsten ist und bespreche deine Wünsche und Bedürfnisse mit dem Palliativteam deines Vertrauens.
Checkliste: Welche Wünsche und Bedürfnisse sind mir am wichtigsten?
- Gute Schmerz- und Symptomkontrolle
- Klare Entscheidungsfindung und -formulierung in Bezug auf Behandlungswünsche (Stichwort Patient:innenverfügung)
- Wertschätzung erfahren, als einzigartiger und ganzer Mensch gesehen und angenommen werden
- Planung des letzten Lebensabschnitts
- Vorbereitung auf den Tod
- Mein Vermächtnis bzw. das will ich meiner Familie/meinen Freund:innen mitgeben
- Frieden mit mir selbst und anderen
Letzte Ausfahrt
Eigentlich eine schöne Vorstellung: endlich runter von der Therapie-Autobahn und weiter auf der gemütlichen Landstraße durchs Grüne. Was wir mit diesem Bild sagen wollen? Bei Palliative Care oder Palliativversorgung nur an Sterbebegleitung zu denken, wäre viel zu kurz gegriffen.
In Wahrheit geht es darum, Menschen mehr Zeit zu schenken und diese Zeit trotz schwerer, unheilbarer Krankheit so lebenswert wie möglich zu gestalten. Menschen mit einer Palliativ-Diagnose werden Wochen, Monate oder Jahre begleitet.
Und zwar von Profis: Dank der Arbeit von Pionier:innen wie Cicely Saunders, Balfour Mount und Elisabeth Kübler-Ross ist die Palliativmedizin heute weltweit etabliert und bietet vielfältige Möglichkeiten der Versorgung.
Gut zu wissen, dass es speziell ausgebildete Reisebegleiter:innen gibt und niemand diesen Weg, wie lange er auch sein mag, allein gehen muss.
Links und Quellen:
- Alle Behandlungsmöglichkeiten sind ausgeschöpft und die Entscheidung einer palliativen Versorgung steht an? Wir haben zusammengefasst, was den Unterschied zwischen Hospiz und Palliativstationen ausmacht.
- Wir haben eine Liste mit Anlaufstellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz für dich erstellt.
- Wenn du dich in die Unterschiede zwischen ambulanter und stationärer Palliativversorgung in Hospizen oder auf Palliativstationen reinfuchsen willst.
- Was sagt die Wissenschaft? Schau dir an, warum man immer wieder von verschiedenen Phasen einer palliativen Lebenssituation spricht und welche Beobachtungen Palliativmediziner:innen bei der Begleitung unheilbar erkrankter Menschen gemacht haben.
- Du willst Zahlen, Daten, Fakten? Hier ist der Status quo der Palliativmedizin in Deutschland.
Titelbild: Pexels/Godisable Jacob
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Über die Serie
Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.
Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.