Psychische Gesundheit und KI – Dreamteam der Zukunft?
Jede:r Dritte ist von psychischen Erkrankungen betroffen. Aber bis psychische Hilfe kommt, dauert es meist zu lang. Ausgerechnet KI kann dieses Problem lösen. Wie? Darüber haben wir mit der Expertin Iryna Gurevych geredet.
Wo liegen die Chancen und Risiken bei der Nutzung von KI in der Psychotherapie? Damit beschäftigen wir uns jetzt.
KI als digitales Helferlein
In gewisser Weise kann man sich KI wie einen treuen Butler vorstellen, der mit der Zeit genau lernt, was Professionellen die Arbeit erleichtert. So, nur ohne Frack und weißen Handschuhen, unterstützt KI Therapeut:innen und Ärzt:innen beispielsweise bei der Wahl des richtigen Medikaments oder der angemessensten Intervention im psychologischen Gespräch.
Auch hier nennt Iryna das Datentraining als Erfolgsgrundlage: “Wenn wir die Muster erkennen, die in vorangegangenen Behandlungen erfolgreich waren, können wir anhand von Messungen feststellen, was bei einer bestimmten Patientin mit größter Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen könnte.”
Ein weiteres Werkzeug wäre, was Iryna ein “Cockpit” nennt. Ein von der KI zusammengestellter und detailreicher Überblick über eine Patientin oder einen Patienten, inklusive Ratschlägen zu den besten Therapieformen. Zusätzlich präsentiert sie entsprechende Fachliteratur.
Sollte es dir gerade nicht so gut gehen und du hast niemanden zum Reden, wende dich doch an diesen Artikel, wo du erfährst, wie du der Einsamkeit entgehst.
Der Haken? KI ist noch nicht spezialisiert genug für die Psychotherapie.
Sprachmodelle wie ChatGPT kennt mittlerweile jede:r. Die Intelligenzen hinter diesen Chatbots werden mit Daten gefüttert, um in möglichst vielen Bereichen zum Einsatz zu kommen. Die Bedürfnisse der Psychotherapie sind jedoch spezifischer, denn hier sind die Folgen eines Fehlers ernstzunehmender. Laut Iryna bräuchte es eine stärkere Anpassung des Chatbots, um mit psychischen Erkrankungen umgehen zu können, insbesondere in der Gesprächsführung.
“Die Idee ist, dass man das Wissen von Fachleuten anzapft, um dann die Modelle mit Feedback von Expert:innen zu spezialisieren.” Eine gute Idee, finden wir.
Und was, wenn die KI verkackt?
Auch eine eifrig lernende Maschine kann Fehler machen, und bei einem prekären Thema wie psychischer Gesundheit sind die Konsequenzen potenziell schwerwiegend.
Das Problem ist, dass das Feld so neu ist, dass rechtlich noch nicht geklärt ist, wer die Verantwortung trägt, sollte die KI tatsächlich etwas falsch machen.
Iryna zählt die Liste der potenziell Schuldtragenden auf: “Sind das dann die schlechten Trainingsdaten? Ist es der Sprachmodellentwickler, Produktentwickler, der Arzt oder die Ärztin? Bis dato ist auch die Definition: ‘Was bezeichnen wir juristisch gesehen als einen Fehler?’ praktisch ungeklärt.” Klingt durchaus ausbaufähig.
Aber das Feld der KI-Sicherheit wächst momentan sehr schnell und man kann damit rechnen, dass es mit der Erforschung der ethischen und juristischen Aspekte auch bald zu einem niedergeschriebenen Regelwerk kommt.
Die Zukunft? KI als erste Anlaufstelle bei psychischen Erkrankungen
Fragt man Iryna, wie sie sich eine Zukunft vorstellt, in der KI und Psychotherapie ein untrennbares Team sind, antwortet sie: “Viel entspannter als jetzt. Denn wenn ich eine Frage habe, oder merke, mir geht es psychisch nicht so gut, kann ich 24/7 ganz einfach per Computer oder Handy die KI-basierte Beratungsstelle im Internet kontaktieren.”
Solch eine Beratungsstelle wäre wie ein Erste-Hilfe-Service, den man erstmal mit Fragen bombardieren kann, um die eigenen Symptome besser zu verstehen. So wird die hilfsbedürftige Person versorgt, während die KI fleißig Informationen sammelt. Solange bis der oder die richtige Therapeut:in für komplexere Fragestellungen zur Verfügung steht.
Hier lang, wenn du mehr über KI-gestützte Innovationen in der Medizin wissen willst.
“Die KI kann die Lage von Patient:innen viel umfassender und präziser erfassen als die Therapeut:innen, da diese nur über eine beschränkte Gesprächszeit verfügen. Das heißt also, die Qualität der Einschätzung wird deutlich besser.”
Das klingt doch nach einer geilen Zukunft. Schon in der Gegenwart entwickelt sich das Feld der Künstlichen Intelligenz rasant schnell. Nicht zuletzt am Beispiel der Psychotherapie zeigt sich, wie vielfältig die Anwendungsbereiche sind, in denen sie eingesetzt werden kann. Und wer weiß? Vielleicht wandelt sich die anfängliche Skepsis, dass KI unsere Jobs wegschnappt, ja bald zu vorsichtiger Euphorie.
Wir haben gelernt, dass:
- KI vielfältig in der Therapie einsetzbar ist.
- KI noch weiter mit Hilfe von Expert:innen spezialisiert werden muss.
- Noch festgelegt werden muss, wer die Verantwortung bei Fehlern trägt.
- Eine Erstberatungsstelle bei psychischen Problemen der ideale Anwendungsbereich für die KI ist.
Quellen zum Weiterlesen:
- Die deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) hat Statistiken zur psychischen Befindlichkeit der Deutschen veröffentlicht.
- Mehr zu der Arbeit von Iryna Gurevych erfährst du auf der Website der Technischen Universität Darmstadt.
Titelbild: Unsplash/Denisse Leon
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Über die Serie
Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.
In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.