Von Metasphasen & Damoklesschwertern
Das Gesundheitssystem hat ein Eigenleben. Und es schreibt neuerdings Tagebuch. In letzter Zeit beschäftigt es sich mit einer Frau namens Christine Raab. Diagnose: Metastasierter Brustkrebs. Unheilbar. Sie lebt von Staging zu Staging, alle drei Monate gibt es ein Update. Die gute Nachricht? Das Leben dazwischen ist trotzdem oft schön. Moderne Forschung plus Selbstbestimmtheit machen es möglich.
2. Leben mit Damoklesschwert
Leben mit metastasiertem Brustkrebs ist wie ein Damoklesschwert, das über dir an einem abgenutzten Faden herumbaumelt. Du weißt nicht, ob der Faden reißt. Bei nicht metastasierten Formen von Krebs ist das anders – da machst du die Therapie, so gut wie‘s eben geht, und hoffst auf möglichst baldige Genesung. Zwar sind Langzeitfolgen auch dort ein Thema, das viel zu oft unter den Teppich gekehrt wird – aber das ist Stoff für meinen nächsten Tagebucheintrag.
Christine aber geht mit Krebs schlafen und steht mit Krebs wieder auf, für den Rest ihres Lebens. Planen war früher leichter und leichtfüßiger. Trotzdem plant sie aber. Und das ist gut so.
Das mit dem Planen betrifft auch Familie, Freunde, das gesamte Umfeld. Vollständig gesund kann sie nicht mehr werden. Das muss psychisch erst mal gestemmt werden. Was da hilft, ist ganz unterschiedlich. Für Christine ist das Yoga. Sie gibt Kurse und bildet Yoga-Lehrer:innen aus, trotz ihrer Erkrankung. Kurse müssen vorbereitet, das Skriptum geschrieben werden – diese wohltuende Prise Normalität. Die Ablenkung hilft über was anderes nachzudenken. Gibt man den Fakt hinzu, dass sie ihren Job liebt und ihre Schüler:innen sehr gut kennt, ergibt das eine Familiarität, in der sie sich kein bisschen verstellen muss. Dort darf sein, was ist. Manchmal nehmen ihr ihre Schüler:innen sogar Arbeit ab, wenn sie Christine auf die Couch verbannen und für sie kochen.
Ein weiterer Normalitätsfaktor ist, nicht immer über Krebs reden zu müssen. Ja, sie ist krank, aber das muss man nicht ewig besprechen. Alles andere – die üblichen Themen, seien sie noch so seicht oder tiefgründig – sind ebenso wichtig, um die Psyche in Balance zu halten.
Achja und eines sei erwähnt: Christine hat ihren liebevollen Partner an der Seite. Den Timo. Timo ist der Beste. Schlüsselqualifikation: Fels in der Brandung. Seine Einstellung: Was ist, das ist und was kommt, das kommt. Seine unerschütterliche Resilienz macht vieles leichter für Christine. Psychisch, finanziell und überhaupt. Sie haben gemeinsam ein heimeliges Holzhaus gebaut, genießen ihre Selbstständigkeit. Viele da draußen haben keinen Timo.
Allein kann es finanziell auch gleich mal sportlich werden und nicht wenige da draußen landen am Existenzminimum. Erst mal Krebs, dann auch noch Armut. Heftigst.
3. Mit Vorurteilen klarkommen
“Du siehst doch so gut aus, du kannst ja gar nicht so krank sein”, sagt vielleicht die achtliebste Freundin ganz ungehemmt. Als müsste man irgendwem beweisen, dass man metamäßig krank ist. Christine hat dahingehend Glück, ihr Umfeld ist ein wahres Geschenk, dass sie mit Verständnis überschüttet. Ein weiteres Vorurteil betrifft die Palliativstation. Es rankt sich der Mythos um diesen Ort, dass man dort nur hingeht, um zu sterben. Aber das ist purer Unfug. Christine war auch dort, und sicher nicht zum Sterben, sondern viel eher, um die Schmerzen in ihrem Brustbein zu therapieren.
4. Das Leben mit Leben füllen
Auch das ist eine Herausforderung, für manche größer als andere – besonders wenn man schon an das nächste Staging denkt. Wenn der Gedanke an das potentielle Lebensende oft nah ist, enthält jeder einzelne Moment umso mehr Bedeutung. Da gilt die Devise: Inhalieren was da ist, das Jetzt genießen, die Beziehungen pflegen, alles aufs Wesentliche reduzieren. So kann frau oftmals trotz allem, Momente voller Glück und Freude erfahren.
Denn obwohl die Vorzeichen auf Sturm stehen, können diese Zeiten sehr lebensintensiv sein. Es geht darum nicht auf irgendwann zu warten. Deswegen hat Christine null Interesse an teuren Taschen, sondern will wertvolle Erlebnisse. So versucht sie weniger Fixtermine zu setzen, damit mehr Platz da ist, um spontan zu sein und die Dinge zu machen, die sie schon immer machen wollte. Zum Beispiel das Boot der Kelly Family am Rhein zu besuchen.
Moderne Therapiemethoden und ihre Chancen
Wie bereits erwähnt, vor gar nicht allzu langer Zeit war die Diagnose “metastasiert” gleichbedeutend mit “da gibt es jetzt keine Alternative”. Patient:innen wurden nach Hause geschickt mit der Botschaft: “Klären Sie ihre Angelegenheiten, wir können nichts für Sie tun”. Aber zwischen damals und heute liegt viel Forschung und dementsprechend viele Durchbrüche, weshalb sich die Überlebenswahrscheinlichkeit von metastasierten Patient:innen sich im Laufe der letzten Jahre drastisch verlängert hat.
Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt mittlerweile bei zwei bis vier Jahren nach dem ersten Auftreten der Metastase(n). Aber ein wackeres Viertel aller Patient:innen schafft es über mehr als fünf Jahre und jede:r Zehnte mehr als zehn.
Jede:r wird anders therapiert
Einhundert Brustkrebspatient:innen ergeben einhundert verschiedene Verläufe. Keiner ist wie der andere. Vergleich macht absolut keinen Sinn. Wer auf welche Therapie anspringt, ist höchst individuell und hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Unter anderem von Untersuchungsergebnissen, deinem Alter, dem Stadium deiner Erkrankung, früheren Krebsbehandlungen und möglichen Begleiterkrankungen. Teilweise unterscheiden sich die Eigenschaften der Metastasen von jenen des ursprünglichen Tumors, deswegen werden sie vor der Wahl der Behandlung neu bestimmt. Dahingehend ist es auch eher kontraproduktiv den Verlauf deiner Erkrankung mit jener anderer Meta-Patient:innen zu vergleichen.
Es kann auch vorkommen, dass deine behandelnden Ärzt:innen nicht nur eine Behandlung für sinnvoll erachten. Wichtig ist dann, dir für die Entscheidung Zeit und Raum zu nehmen und möglichst viele (valide) Informationen, Meinungen und Empfehlungen einzuholen. Denn um eine gute Therapieentscheidung treffen zu können, solltest du all deine Optionen kennen.
Hier kannst du mehr dazu lesen. Oder hören.
Niemand muss das allein durchstehen
Die Brustkrebsbehandlung erfährt man in zertifizierten Brustzentren, Tumorzentren und onkologischen Schwerpunktpraxen. Gut ist, wenn man sich ein zertifiziertes Zentrum aussucht. Achtung! Das ist nicht immer das nächstliegende Krankenhaus.
Denn das tiefe Wissen um bestimmte präzisionsonkologische Therapien bekommt man bei bestimmten Spezialzentren. Daher ist es wichtig, sich ausreichend zu informieren, das Hirn einzuschalten und auch mal Dinge zu hinterfragen (Ich habe das Gefühl, dass manche Menschen sich mehr Zeit nehmen, um die richtige Waschmaschine zu finden, als das richtige Krebszentrum!).
In zertifizierten Zentren arbeiten spezialisierte Fachkräfte aus verschiedenen Berufsgruppen zusammen, in einem Tumorbord geeint, um interdisziplinäre Therapie-Entscheidungen fällen zu können. Und natürlich, um alle Bedürfnisse der Patient:innen so gut wie möglich zu erfüllen.
Eine Breast Care Nurse sollte sich in diesen Zentren auch finden. In so einer Ausnahmesituation muss es einfach ein:e zusätzliche:n, kontinuierliche:n Ansprechpartner:in geben. Wegen Terminmanagement, dem gemeinsamen Besprechen, wie es denn weitergehen soll, welche Optionen man hat, oder einfach nur zum Zuhören, weil in dem Moment eine Monsterwelle über jedermann:frau zusammenschlägt.
Obendrauf gibt es noch die gute alte Reha. Kann man stationär oder ambulant (zu Hause wohnen, nur für die Reha in die Klinik) machen. Wozu?
Um die körperlichen und seelischen Baustellen zu versorgen und generell mit Sport, Physiotherapie und psychosozialem Allerlei eine Grundlage zu basteln, damit man das Leben trotz Metakrebs so gut wie nur möglich ausleben kannst (Sexualberatung inklusive 😉).
Mündigkeit ist Gold
Je informierter man ist, umso besser. Logisch, oder? Dadurch erlangt frau Selbstwirksamkeit und weiß um die möglichen Handlungsoptionen, was wiederum bewirkt, dass die gefühlte Machtlosigkeit nicht überhandnimmt. Shared Decision Making, das gemeinsame Entscheidungsfinden, ist extrem wichtig, um die Balance zwischen Wirkung und Lebensqualität zu erlangen. So hat man kleines Stück sicheren Boden wieder:
- Remember: Man kann den Therapieverlauf mit dem ärztlichen Personal jederzeit neu evaluieren.
- Man muss auch nicht alle Schmerzen aushalten: Mit der richtigen Begleitung können sie verhindert oder gelindert werden.
- Psychologische oder psychotherapeutische Hilfe ist immer eine Option!
- Selbsthilfegruppen sind (meist) weder Trauervereine, noch Beschwerdechöre, sondern ein emotionaler Austausch mit anderen Betroffenen, die deine Situation bedingungslos verstehen werden.
- Online Communities bringen Leute aus allen deutschsprachigen Ecken zusammen, um laut und tabulos über Krebs zu reden. Du findest in den sozialen Medien zum Beispiel die Kurvenkratzer Community. Christine beispielsweise hat über das Internet die Onkologin Tanja Schneider kennengelernt, die auch Brustkrebs hatte. Mit ihr hat sie sich stundenlang am Telefon über Therapieoptionen ausgetauscht. Daraus entstanden ist eine wunderbare Freundschaft.
Das Ende ist mein Anfang
Wer nach all der Metastasen-Dramatik denkt, man könne kein schönes Leben haben, liegt nicht ganz richtig. Christine ist das beste Beispiel. Vieles ist traurig, anstrengend, nervenaufreibend und einfach echt nicht gut. Das Leben ist anders, aber trotzdem ist immer noch vieles schön.
Christine weiß um die schönen Dinge, die ihr Leben bereichern: Ihr Mann Timo, ihr Job, ihre Schüler:innen, ihr Haus, ihre Eltern und Freunde, den Moment.
Und darauf legt sie jetzt ihre volle Konzentration. Das Jetzt.
Die schönsten Momente sind oft vollkommen unerwartet.
Und was in drei Monaten ist… das weiß eh keiner.
Okay, wo ist mein Handtuch?
Content-Kooperation mit Pfizer Pharma GmbH, Berlin
Titelbild: Pexels/Claus Nielsen
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