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So trauern wir in der Krebs-Community
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Weiterleben, wenn die anderen sterben

Verbunden. Vertraut. Verschworen. Verloren. Wie sieht es mit der Trauerbewältigung unter uns Krebserfahrenen aus? Für diesen Artikel haben wir über eine Umfrage in unseren sozialen Medien nach Antworten gesucht. Hier kommen eure Geschichten, Erfahrungen und Anregungen. 

Ausgeschaltet? Online-Trauern!  

Es mag banal klingen, aber online zu trauern, ist ein erster Schritt, mit dem Verlust eines Menschen aus unserer Community umzugehen. Wenn über Social-Media-Kanäle oder in euren Gruppenchats eine traurige Nachricht die Runde macht, könnt ihr diese Botschaft mit Emojis oder Worten kommentieren und so euren Gefühlen Ausdruck verleihen. 

Gleichzeitig seht ihr die Reaktionen der anderen und seid versichert: Wir teilen alle denselben Verlust. Es ist okay, traurig zu sein. Wissenschaftler:innen sprechen hier von “Social Sharing of Emotions”, also dem Teilen von Gefühlen in einem Online-Forum – eine Methode, die mittlerweile als Bewältigungsstrategie anerkannt ist.

Rituale als Trauerbewältigung

Ihr habt uns immer wieder von der Kraft der Rituale erzählt. Rituale in der Gruppe sind eine Form von Kommunikation, wenn einem die Worte fehlen. In der Gemeinschaft entfalten sie sogar eine Art schöpferische Kraft, die uns aus der Ohnmacht führt.  

Plakat mit Satz Please believe these days will pass
"Diese Tage gehen vorbei", wenn du an Rituale in der Gruppe glaubst - eine schöpferische Kraft, die dich aus der Ohnmacht führen kann. (Foto: Unsplash/John Cameron)

Irgendwie sind Rituale so etwas wie der Schulbus, der alle einsammelt und nach Hause bringt, wenn man komplett verloren herumirrt. Rituale geben Halt und Struktur, wenn einem die Welt um die Ohren fliegt.  

Erich Fromm, der deutsche Sozialpsychologe, Psychoanalytiker und Philosoph, beschreibt Rituale als Ausdruck menschlicher Hilflosigkeit und des Wunsches nach Erlösung. Besonders im Trauerprozess können Rituale helfen, den Verlust zu akzeptieren und schmerzhafte Veränderungen in unser Leben zu integrieren. In der Gemeinschaft funktioniert das besonders gut.

Kerzen, Wanderungen, Lieblingsessen: die bunte Packung Trauer-Rituale  

Carsten Witte, Psychoonkologe (DKG) und Vorstand von „Jung und Krebs“ weiß, wie wichtig es ist, gemeinsam wieder in Bewegung zu kommen:  

“Wenn ein geliebtes Vereinsmitglied stirbt, hilft es, die Schockstarre zu überwinden, sich zu treffen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Erdende, verbindende Rituale wie gemeinsames Essen und Trinken spenden Trost. Nach einem einschneidenden Verlust – der tief berührt – ist es wichtig, die Wunden gemeinsam zu pflegen. In einem nächsten Schritt könnt ihr überlegen, was die verstorbene Person besonders gerne gemacht hat oder welche Pläne ihr gemeinsam hattet.”  

Mamorstein mit aufschrift In loving memory und blumen
Unglaublich wichtig: sich treffen, miteinander sprechen und an die verstorbene Person "in liebevoller Erinnerung" denken – was hat diese geliebt, welche Pläne hatte sie? (Foto: Unsplash/Sandy Millar)

Das Team des Familienhörbuchs, ein Audiojournalismus-Projekt, das unheilbar erkrankten Eltern ermöglicht, die eigene Lebensgeschichte ihren Kindern zu hinterlassen, gab uns noch einen weiteren Impuls: Auch ehrenamtliche Begleiter:innen, die nicht unmittelbar eine freundschaftliche Beziehung mit den Verstorbenen aufgebaut haben, können von einem Verlust berührt sein. Da heißt es: Selbstfürsorge nicht vergessen, Zeit nehmen, um sich in aller Ruhe innerlich zu verabschieden, zum Beispiel, indem man gemeinsame Wege nochmals durchwandert.

Ihr wisst nicht so recht, was ihr zusammen als Gruppe tun könnt, um der Person, die euch nun fehlt, ein Andenken zu setzen? Lasst euch von den gesammelten Vorschlägen inspirieren: 

  • Wer sagt, dass Trauerrituale einen faden Beigeschmack haben müssen? Kocht das Lieblingsessen der verstorbenen Person! Beim gemeinsamen Genuss fallen euch sicher viele Momente ein, die euch verbunden haben.  
  • Wenn ihr gemeinsam zur Trauerfeier geht, dann gönnt euch im Anschluss einen „Leichenschmaus“ oder “Leichtrunk” – ein uralter Brauch, der weiß, dass es nach den schwersten Momenten etwas Leichtigkeit und etwas Erdendes wie Essen und Trinken braucht.  
  • Verabredet euch immer wieder zu offenen Gesprächen oder Online-Treffen, um Ängste und bedrückende Gefühle zu teilen, wie z. B. die Frage: „Warum habe ich überlebt, während meine Freund:innen an Krebs verstorben sind?“ Auch wenn man sich nicht auf den Tod vorbereiten kann, sind Mitgefühl, Verständnis und Zuneigung wertvolle Begleiter in der Trauer. 
  • Wenn du jemandem besonders nahegestanden hast, dann trage diese Person nach ihrem Tod symbolisch bei dir – sei es als Glücksbringer, Bild oder in Form eines bedeutsamen Satzes auf einem Zettel in deiner Tasche. 
  • Gestalte eine Erinnerungsbox, gefüllt mit Fotos oder kleinen Texten, die zeigen, warum diese Person einzigartig war.
Das Wort WE als blaues Neonlicht
Das 'Wir' – ein verbindendes Gefühl, das sowohl bei der Krankheitsbewältigung als auch in der Trauer trägt. (Foto: Unsplash/Jon Tyson)

Wie wir mit dem Tod der anderen umgehen, ist nicht zuletzt von den Traditionen abhängig, die unsere Gesellschaft prägen. Verschiedene Trauerrituale geben einen Einblick in die Strategien, mit denen Menschen den Verlust ihrer Liebsten bewältigen. Welche faszinierenden Extreme der Umgang mit Trauer hervorbringt, kannst du in unserem Artikel über Trauerkulturen dieser Welt erkunden. 

Was wir mitnehmen: Der Umgang mit dem Tod gehört zu unserer Community. Wir sind weder der Judo-Verein noch der Schach-Club, auch wenn wir uns in Strategien üben müssen, niederschmetternde Nachrichten zu akzeptieren. Wir stehen immer wieder auf. Worauf wir uns verlassen dürfen, ist der große Zusammenhalt in unserer Gemeinschaft. 

Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl können wir zum Beispiel durch kleine Rituale stärken. Und am Ende gilt immer noch: Du kannst trauern, wie du willst, Hauptsache du tust es.  

Quellen und Links:

  • Was soll das bringen? Warum die moderne Psychotherapie in Ritualen ein heilsames Mittel für den Umgang mit Verlusten sieht. 
  • Wenn du noch tiefer in den Umgang mit der Trauer eintauchen willst: Kommunikationswissenschaftler:innen haben den Trauerprozess in virtuellen Gemeinschaften unter die Lupe genommen.  
  • Du willst es ganz genau wissen? In dem Artikel der Universität Bern erfährst du mehr über den Weg von der Trauerarbeit in die Trauerverarbeitung.  

Titelbild: Unsplash/Jenny Le

Über die Serie

Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.

Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.

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