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Patient Advocate des Monats
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Wie bindest du Patient:innen in die Forschung ein, Sandrine?

Sandrine Lavallé merkt schon früh, dass sich Erwartungen von Patient:innen und Forschungsziele wie Tag und Nacht verhalten können. Wie sie dafür sorgt, dass die Stimmen der Patient:innen gehört werden, statt in der Dunkelheit zu verschwinden.

Sandrines Weg war alles andere als einfach. Zwei heftige Schicksalsschläge prägen ihren Weg: 2013 verliert sie ihren Partner an einem Glioblastom, einem sehr bösartigen Hirntumor, und vier Jahre später erkrankt sie selbst an Brustkrebs.  

Aber ihr Weg beginnt schon früher: Sandrine studiert Kommunikation und Soziologie in Belgien. Sie startet beim “Luxemburg Institut für Gesundheit (LIH)” als Kommunikationsbeauftragte und macht Forschungsergebnisse für die Öffentlichkeit verständlich. Anfangs war die Kommunikation einseitig – Infos FÜR Patient:innen. 

2013 entdeckt sie die “European Patients‘ Academy on Therapeutic Innovation” (EUPATI), die Patient:innen dazu befähigt, in der Forschung mitzuwirken. Der Gedanke, MIT Patient:innen statt ÜBER sie zu kommunizieren, packt Sandrine sofort. 

Nachdem sie dann selbst an Krebs erkrankt, wird ihr Engagement zur Lebensmission. Seit 2022 übernimmt sie den Posten der Patient:innensprecherin für das LIH und kämpft dafür, dass Patient:innen in die Forschung einbezogen werden – von der Fragestellung bis hin zur Kommunikation. 

Über die Serie

Wie setzen sich Patient Advocates für die Belange von Patient:innen ein? Im Rahmen unserer Serie „Mit uns statt über uns“ interviewen wir jeden Monat Patient:innenenvertreter:innen aus aller Welt über ihre Arbeit für Betroffene, ihren Einsatz für mehr Mitsprache – und darüber, was sie täglich anspornt, weiterzumachen.

Warum bist du Patient:innenvertreterin geworden?

Ich wurde Patient:innenvertreterin, weil mir meine persönliche Reise – der Verlust meines Partners und mein eigener Kampf gegen Krebs – noch einmal verdeutlicht hat, wie wichtig die Einbeziehung der Patient:innenstimme in der Forschung ist 

Im Laufe der Jahre hat sich mein Glaube an die Bedeutung der Einbeziehung der Patient:innen in die Forschung verstärkt, sodass ich nun mit ihnen arbeite, statt für sie.
Sandrine Lavallé
Patient:innensprecherin für das Luxembourg Institute of Health

Ich bemerkte eine Lücke zwischen den Erwartungen der Patient:innen und den Zielen der Forschung. Während die Forschung oft darauf abzielt, das Leben zu verlängern, konzentrieren sich die Patient:innen mehr auf Lebensqualität. Diese unterschiedlichen Perspektiven überzeugten mich davon, dass Patient:innen vollwertige Partner:innen in der Forschung sein müssen. 

steinige Felsen Frau springt über Abgrund
Sandrine setzt sich dafür ein, die Lücke zwischen Patientenbedürfnissen und Forschungszielen zu schließen. (Unsplash/Sammie Chaffin)

Wie änderst du das System? 

Um das System zu verändern, arbeite ich daran, die Patient:innenbeteiligung in allen Aspekten der Forschung an meinem Institut zu verbessern 

Ich stellte dem Vorstand meine Ideen zur Wichtigkeit der Patient:innen- und Öffentlichkeitsbeteiligung (PPI) vor und entwickelte eine Strategie und entsprechende Richtlinien dafür. Der Vorstand unterstützt mich und seit Juli 2023 bin ich die Managerin für diese Bereiche. Ich habe ein Arbeitskomitee eingerichtet und zusammen setzen wir nun Maßnahmen um, die zur Verbesserung der Patient:inneneinbindung führen.  

Auf nationaler Ebene arbeite ich auch mit der Föderation der Krankenhäuser, Patient:innenverbänden und dem Kompetenzzentrum in Luxemburg zusammen, um eine Pilot-Schulung zur Patient:innenpartnerschaft zu starten. Diese Schulung begann am 4. Juni 2024. Acht Zweierteams von Gesundheitsfachkräften und Patient:innen sind mit einem Projekt eingeschrieben. Ziel ist es, ihnen beizubringen, wie sie effektiv zusammenarbeiten können.

Welche Rolle spielt Patient Advocacy in deinem Land? 

In Luxemburg wird die Patient:innenbeteiligung sowohl im Forschungs- als auch im Gesundheitssektor zunehmend geschätzt. Das Patient:innenpartnermodell aus Montréal gewinnt an Bedeutung und wird zunehmend in Luxemburg umgesetzt. 

Montréal-Modell kurz erklärt:

Das Montréal-Modell ist ein innovativer Ansatz, der das Erfahrungswissen von Patient:innen mit dem der medizinischen Fachkräfte gleichstellt. Kern des Modells ist die aktive Einbindung von Patient:innen in ihre eigene Versorgung, aber auch in Forschungs- und Bildungsprozesse.  

Die drei wichtigsten Punkte:  

  • Patient:innen werden als Teil des Versorgungsteams betrachtet. 
  • Patient:innen werden in die Ausbildung von Gesundheitspersonal eingebunden.  
  • Patient Advocates werden durch einen strukturierten Rekrutierungsprozess ausgewählt, um sicherzustellen, dass sie die notwendigen Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringen. 

Stell dir vor: Du hast deine Ziele erreicht! Wie sieht die Welt jetzt aus? 

In einer idealen Welt würde Zusammenarbeit Hierarchie ersetzen. Alle würden kooperieren, um die Gesundheit für alle zu verbessern. Forschung würde Prävention priorisieren und Patient:innen sowie die Öffentlichkeit für gesellschaftliche Auswirkungen einbeziehen. Die Wirtschaft und persönliche Egos würden zugunsten des gemeinsamen Wohls des Gesundheitssystems zurücktreten. 

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Das Gesundheitswesen der Zukunft: voller Liebe und Mitgefühl und individuell an jede Patientin und jeden Patienten angepasst. (Foto: Unsplash/Abi Schreider)

Patient:innen und die Öffentlichkeit hätten gleichberechtigte Rollen im Gesundheitswesen und in der Forschung und würden die Agenden mitgestalten. Das Gesundheitswesen wäre mitfühlend und individuell angepasst, wobei der Fokus auf der Lebensqualität liegt. Bildung würde Empathie und Zusammenarbeit betonen und somit zu besseren Ergebnissen und Zufriedenheit führen. 

Quellen und Links: 

Titelbild: Foto: Privat, Montage: Kurvenkratzer

Über die Serie

Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in. So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können. Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.

Mit  dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.

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