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Wie Valentina trotz Jugend im Krebstal den Paraclimbing-Gipfel erklimmt

Medizinstudentin, frischgebackene Mama, ParaclimbingWorldcupTeilnehmerin und eine wahre Kämpferin. Wir erzählen dir die turbulente Geschichte von Valentina Pümpel und warum sie ihre Blutkrebsdiagnose mit zwölf Jahren zu Höchstleistungen angespornt hat.

„Happy Birthday, Valentina! Zu deinem 12. Lebensjahr habe ich mir etwas ganz Besonderes für dich ausgedacht – kein Make-up, keine coolen Klamotten und auch nicht dein erstes Handy. Stattdessen schenke ich dir die Diagnose Akute Lymphatische Leukämie), also Blutkrebs. Na? Freust du dich?“ So muss es sich angefühlt haben, als Valentinas Körper dieses unerwartete – und ja, ziemlich beschissene – „Geschenk“ an ihrem 12. Geburtstag überreichte. 

Zwei ganze Jahre lang kämpfte sie sich durch eine Hochdosis-Chemotherapie, da keine passenden Spender:innen für eine Stammzelltransplantation gefunden werden konnten. Die aggressive Behandlung hinterließ ihre Spuren: Valentinas Knochen sind so geschädigt, dass sie sich in den letzten Jahren etlichen Operationen unterziehen musste. 

Vor der Diagnose war der Sport ihr Ventil, ihr Ausgleich und ihre größte Leidenschaft. Und von einem Tag auf den anderen wurde Valentina das genommen. Nach der Therapie war der Weg zurück in den Sport ein langer und steiniger Marsch. Aber sie hat es geschafft – und das sogar bis in den Leistungssport. Im Juni 2024 durfte sie an ihrem ersten Paraclimbing-Worldcup teilnehmen.  

Wir haben die heute 26-Jährige zu ihrer Jugend mit Krebs befragt – und was sie auf ihrem Weg gelernt hat.

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Eiskunstlauf und plötzlich Krankenhaus. Für Valentina hat mit 12 Jahren ein neues und völlig anderes Leben begonnen. (Fotos: Privat)

Stimme aus der Community: Verpasste Jugend 

Jugendliche mit Krebs befinden sich in einer ambivalenten Situation. Sie werden rasant ins Erwachsenenalter katapultiert, während sich die Freund:innen normal weiterentwickeln. Stattdessen verbringen sie diese wichtige Zeit der Veränderung in einer Klinik und können nur die Allervertrautesten an sich ranlassen.  

In unserer Serie interviewen wir drei Personen dazu, wie sie diese Zeit mit Krebs erlebt und bewältigt haben, und welche Wege sie dazu führten, ihre Jugend trotz Krebs auszuleben. 

Wie hast du diese Zeit mit Krebs erlebt und bewältigt? 

Zu Beginn hat sich alles so surreal angefühlt. Als ich ins Krankenhaus musste, habe ich mir eingeredet, dass ich in zwei Wochen wieder in die Schule und zum Training gehen kann, obwohl ich genau spürte, dass das nicht der Fall sein wird. Trotzdem hat man in so einer Situation keine Ahnung, was alles auf einen zukommt. Die Welt zieht an einem vorbei, und man selbst macht einfach mit.  

Ich wusste, ich habe keine Wahl, und irgendwann akzeptiert man die Diagnose mit allem, was sie mit sich bringt, und lernt nicht nur damit zu leben, sondern lernt tatsächlich ein ganz neues und anderes Leben kennen, das so gar nichts mit dem zu tun hat, was die meisten Menschen „Normalität“ nennen würden. Ein Leben isoliert von anderen Kindern, im Krankenhaus anstatt in der Schule, zu Hause auf dem Sofa anstatt draußen beim Sport 

Chemotherapien und Schmerzen waren meine täglichen Begleiter. Trotzdem war es irgendwann mein Leben, meine Normalität. Das Krankenhaus war mein zweites Zuhause, und die Ärzt:innen und Schwestern schon fast Familie. Ich habe viel Trauer erlebt, viele Kinder kennengelernt, die auf einmal nicht mehr da waren 

Aber ich habe noch viel mehr Hoffnung erlebt. Man unterstützt sich gegenseitig, und das Wichtigste: Man versteht einander, glaubt und hofft gemeinsam, dass alles wieder gut wird. 

Welche Wege hast du gefunden, deine Jugend trotz Krebs auszuleben? 

Ich würde hier wahnsinnig gerne erzählen, wie ich es geschafft habe, meine Jugend trotz Krebs auszuleben. Doch die Wahrheit ist, ich habe es nicht geschafft. Krebs kann dir alles nehmen, und mir hat er einen großen Teil meiner Jugend genommen

Mädchen mit Hund
„Krebs kann dir alles nehmen, und mir hat er einen großen Teil meiner Jugend genommen.“ (Foto: Privat)

Ich habe es versucht, doch ich habe in einer anderen Welt gelebt. Ich habe mich oft von allen unverstanden gefühlt. Wir haben uns weiterentwickelt, doch in ganz unterschiedliche Richtungen. Während meine Freund:innen darüber gesprochen haben, wie attraktiv Johnny Depp ist, habe ich mich mit viel ernsteren Themen auseinandersetzen müssen.

Ich habe nicht in diese Welt gepasst, mich gefragt, warum Kinder leiden und sterben müssen, und wollte herausfinden, was die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind. 

Ich habe gelernt, dankbar für die allerkleinsten Dinge zu sein, da ich gemerkt habe, dass absolut nichts selbstverständlich ist.  

Ich habe den Kontakt mit meinen Freund:innen so gut es ging gehalten und habe auch nach meiner Erkrankung versucht, die Welt so zu erhalten, wie sie einst war, dort weiterzumachen, wo ich aufgehört hatte, und bin kläglich gescheitert, weil ich nicht mehr dieselbe war. Ich war schlecht in der Schule, weil ich mit meinen Gedanken ganz woanders war und weil ich viel zu viel gefehlt habe. Zwei Jahre kann man nicht einfach löschen oder nachholen. 

Ich habe um die Zeit getrauert, die ich verpasst habe, und ich habe gelernt zu akzeptieren, was war und was ist, und mir Stück für Stück ein neues Leben aufgebaut, in dem all meine Erfahrungen Platz finden dürfen.  

Ich habe mich irgendwann getraut, mit meinen Freund:innen über meine Erfahrungen zu sprechen und sie ermutigt, über ihre zu sprechen. Und je mehr meine Erfahrungen ein Teil von mir wurden, umso mehr konnte ich die „normale Welt“ wieder auf mich zukommen lassen. Ich war sogar manchmal mit Freund:innen aus und bin betrunken mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, so wie alle anderen.

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„Heute fühle ich mich manchmal fast 'normal', nur eben nie ganz, aber das ist okay.“ (Foto: Privat)
Beim Paraclimbing klettere ich nicht trotz, sondern mit meinen Einschränkungen.
Valentina Pümpel

Was hast du gelernt und kannst du an andere Betroffene weitergeben? 

Krebs endet nicht, wenn die Therapie endet, sondern begleitet dich dein Leben lang. Und das ist auch okay, denn all deine Erfahrungen prägen dich als Menschen. Du selbst kannst am Ende entscheiden, wie du mit deinen Erfahrungen umgehst.  

Während der Therapie lebt man nicht, sondern man überlebt. Nach der Therapie muss man sich erst einmal körperlich erholen. Vielleicht muss man sogar, wie ich, ein Leben lang mit Spätfolgen leben. Und man hat endlich Zeit, sich mit seiner psychischen Gesundheit auseinandersetzen. 

Die Psyche steht außerdem meistens hinten an, dafür ist während der Chemotherapie kein Platz, denn es geht ums Überleben. Manchmal ist der Preis fürs Überleben hoch. Die Zeit nach der Therapie kann mindestens genauso hart sein. Man sehnt sich nach Normalität und möchte einfach wieder am Leben teilhaben und alles hinter sich lassen. 

Mein Tipp? Lass dich auf deinem Weg unterstützen und begleiten. Viele Ängste, viele Sorgen und viel Unverständnis können einem auch nach der Therapie noch begegnen. Sprich darüber! Lass dich nicht entmutigen, denn das Leben hat viele Höhen und Tiefen und du wirst feststellen, dass bereichernde Erfahrungen und Menschen oft in den unerwartetsten Momenten in dein Leben kommen und sich immer wieder neue Türen öffnen.  

Trau dich, neu anzufangen und deinen eigenen Weg zu gehen, auch wenn er nicht dem „Mainstream“ entspricht. 

Frau am Kletterseil
Im Juni 2024 durfte Valentina an ihrem ersten Paraclimbing-Worldcup in Innsbruck teilnehmen. (Foto: International Federation of Sport Climbing)

Krebs hinterlässt ganz unterschiedliche Spuren und Narben, manche sind vergänglich, andere nicht. Versuche, sie anzunehmen, denn nur so kannst du offen für Neues sein. Neue Wege entstehen, indem wir sie gehen. Wir alle tragen unsere Erfahrungen mit uns. Und einige verstecken wir, weil wir denken, dass sie in der Gesellschaft keinen Platz haben.  

Das Thema Krebs hat auch bei Kindern und Jugendlichen einen berechtigten Platz – es darf kein Tabuthema sein. Denn ganz egal wie alt du bist: Egal wie du über Krebs sprichst, Hauptsache du tust es! 

Weiterführende Links 

Titelbild: Pixabay/Troubletrace Ux

Über die Serie

Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt dann, wenn du realisierst, dass du nur ein Leben hast, und die Welt sich anders anfühlt. Durch den massiven Eingriff von Krebs & Co findet ein Sinneswandel statt. Falls dein Lebensweg bisher an Sinn vermissen ließ, wird das im Angesicht der Endlichkeit furchtbar klar.

Die Sinneswandel-Serie beschäftigt mit der Vielfalt an Bewältigungsstrategien, die Krebspatient:innen entwickeln, um mit all den weitreichenden Veränderungen umzugehen. Coping ist eine Kunst, und Kunst sensibilisiert die Sinne. Durch unsere Community wissen wir: Manche haben besonders kreative und authentische Ansätze gefunden. Sie haben inspirierende Geschichten gelebt, Prüfungen bestanden, schwere Entscheidungen getroffen – und wir entnehmen die Essenz dieser Lebenswege und gießen sie in tieftauchende Porträts.

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