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Wiedereingliederung & Co
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Wie dein Post-Krebs-Körper dich besser macht

Nach dem Krebs ist vor der Wiedereingliederung. Und dazwischen der nicht zu verachtende Genesungsprozess – nervig, ja. Aber auch die Chance, dich und deine Hülle so richtig kennenzulernen. Ein neues, lang ersehntes Kapitel beginnt… und wir zeigen dir, worauf du dabei achten solltest, und welche Tücken die sogenannte “Rekonvaleszenz” bereithalten kann.

Fatigue and the Langzeitintegration 

Es gab mal eine Zeit, da waren jegliche Arten von Krebs ein Todesurteil. Heute gibt es allein vier Millionen Überlebende in Deutschland. Das ist einerseits absolut megaaffengeil, anderseits bedeutet das: Vier Millionen Leute müssen die Folgen der Krebserkrankung – sei sie chronisch oder nicht –  in ihr Leben integrieren. Viele davon haben Angst, dass der Krebs wieder auftritt. Denn bei vielen Krebsformen gelten Betroffene erst nach fünf bis zehn rückfallfreien Jahren als geheilt. Nachsorgetermine und Anschlusstherapien prägen die Jahre in dieser Zeit.  

Die lästigste aller Begleiterscheinungen – Fatigue – das Erschöpfungssyndrom aus der Hölle, will sich oft auch während dieser Zeit nicht gänzlich verabschieden. Diese verdammte Müdigkeit, die durch Schlafen nicht gelöst werden kann, hat dir vielleicht schon während der Therapie die Beine weggezogen. Auch nach dem vermeintlichen „Geschafft“ hält sie sich gerne hartnäckig und schränkt weiter deine Lebensqualität ein. Die Ursachen können unterschiedlicher Art sein, denn sowohl der Körper als auch die Psyche müssen während der Genesung mit ordentlicher Belastung zurechtkommen. Du kannst Fatigue nicht vollständig vermeiden, aber lindern allemal. Wir haben einige Fatigue-Managementstrategien bereits in einem Artikel beleuchtet. Mehr Tipps gibt’s jetzt:

  • Geregelter Tagesablauf 

Die innere Uhr ist ein delikates Ding, die muss man auch erst mal in Form bringen. Deswegen: Versuche jeden Tag um die selbe Uhrzeit schlafen zu gehen (am besten noch vor Mitternacht) und aufzustehen, sodass sich dein Körper an die Regelmäßigkeit gewöhnt. Ach, und Hände weg von schlafstörenden Substanzen vor dem Schlafengehen. Das wären Koffein, Alkohol, oder auch größere Mahlzeiten. 

  • Körperliche Entspannung 

Yoga, Atemübungen, Meditation und Massagen entspannen nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Welche Praktiken dir am bestesten helfen, das gilt es herauszufinden.  

  • Psychosoziale Methoden 

…gibt es mehrere. Kognitive Verhaltenstherapie beispielsweise ist ein Ansatz, bei dem du nachteilige Denk- und Verhaltensmuster so umstrukturierst, dass sie dir Energie geben, anstatt zu nehmen. Ein Psychotherapeut kann dir dabei helfen, auch bei sogenannter Psychoedukation. Das Ziel dieser Methoden ist es, die Erkrankung, (in diesem Fall Fatigue) als Symptom und deren Behandlung zu verstehen, um so das Bewusstsein und die Akzeptanz zu stärken. So lässt sich dann ein gesundheitsförderlicher Lebensstil draufklatschen, der einem persönlich am meisten hilft. 

  • Energiekonto verwalten 

Plane tagsüber immer wieder Ruhe- und Erholungsphasen ein, um Überlastung oder Überanstrengung zu vermeiden. Um dann in den Ruhephasen wiederum bewusst nichts zu machen. Wenn du einen Mittagsschlaf planst, begrenze den auf höchstens eine Stunde.  Sonst kann nämlich der nächtliche Schlaf beeinträchtigt werden. 

  • Fatigue-Tagebuch 

Schreibe deine Tagesaktivitäten und dein subjektives Fatigue-Level auf. Daraus kannst du
ablesen, bei welchen Aktivitäten du viel oder wenig Müdigkeit verspürst. Das Tagebuch hilft dir dabei, deinen Tagesablauf bewusst zu planen. So kannst du dann besser Prioritäten setzen, Energiereserven einteilen, Ruhephasen einplanen und herausfinden, wo deine persönliche Belastungsgrenze liegt. 

  • Bewegung (die etwas gechilltere Version) 

Gut eignet sich leichtes Ausdauertraining. Joggen, Radfahren oder Schwimmen sind nur drei von vielen Möglichkeiten.  Aber vergiss nicht: Beginne langsam und arbeite dich stetig hoch. Zu viel auf einmal bringt das Bett näher. 

Leben Nach Krebs Pexels Andrea Piacquadio
Ach, die Erschöpfung. Fatigue ist wohl eine der nervigsten Nebenerscheinungen. Foto: Pexels

Wiedereingliederung  in D – A – CH

Nun, das ist ein brisantes Thema, das in jedem Land anders gehandhabt wird. Schon mal vorweg: Deutschland gewinnt. Denn die Wiedereingliederung in Österreich ist nach wie vor nur mangelhaft geregelt. Sie ist nicht so ganz vorbereitet auf die mangelnde Konzentrationsfähigkeit, die fehlende Kraft und die geringe Belastbarkeit nach vielen Monaten Krankenstand. Die österreichische „Wiedereingliederungsteilzeit“ läuft ein bis sechs Monate und ist mit dem Arbeitnehmer zu vereinbaren. Die wöchentliche Normalarbeitszeit darf für diesen Zeitrahmen um höchstens 50 % und mindestens 25 % reduziert werden. Neben deinem angepassten Gehalt, bekommst du dann noch ein Wiedereingliederungsgeld von der Österreichischen GesundheitsKasse (ÖGK). Wirkt irgendwie bürokratisch, auf das Individuum wird in der Alpenrepublik nicht allzu sehr eingegangen. Wir Kurvenkratzer appellieren deswegen an die Wirtschaftskammer Österreich: Seid’s ned so faul! Kommt den Krebslern doch ein wenig mehr entgegen... 

In Deutschland hingegen sind Unternehmen dazu verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement zu organisieren. Hat sich wohl irgendein Hamburger ausgedacht, man nennt es nämlich das „Hamburger Modell“. Ex-Krebsler steigern demnach die Arbeitsleistung langsam – von wenigen Stunden am Tag bis zu einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung. Während der Rekonvaleszenz darf er dann zusammen mit dem behandelnden Arzt und dem Arbeitgeber einen Eingliederungsplan erstellen. Klingt doch fair, oder nicht?  

Sehr fortschrittlich gibt sich auch die Schweiz: Dort kannst du dich mit einem „therapeutischen Arbeitsversuch“ wiedereingliedern. Das bedeutet: Keine spezifischen Anforderungen an die Arbeitsleistung. Klingt eigentlich sehr österreichisch – frei nach dem Motto „Schau ma mal, dann seh ma schon“. Die Krankenversicherung zahlt während dieser Zeit den Stundenlohn. Dadurch kann der:die Arbeitgeber:in frühzeitig erkennen, ob der:die Ex-Krebsler:in dem Arbeitstempo gewachsen ist und es dementsprechend anpassen. So wie in Deutschland setzen sich auch in der Schweiz Arbeitgeber:in, -nehmer:in und Arzt/Ärztin zusammen, um einen angemessenen Reintegrationsplan zu erstellen. TopTopTop!   

 

Leben Nach Krebs Pexels Mantas Hesthaven
Sich selbst zu priorisieren heißt nicht gleich egoistisch zu sein. Foto: Pexels/Mantas Hesthavven

Jetzt geht’s um dich! 

Es ist Zeit, wesentlich zu werden! Wozu abgeben mit Belanglosigkeiten? Du hast dein ganzes Leben durch den Krebsfilter gejagt, das heißt die Unnötigkeiten deines neuen alten Alltagslebens  lassen sich nicht mehr so einfach ignorieren. Deine Werte verändern sich. Falls du ein Mensch bist, der sonst immer für andere da war, sagst du jetzt auf einmal: „Ich bin dran“. Ganz ehrlich: Wann ist es angemessener, Dinge zu tun, die du schon immer tun wolltest, nie formuliert und stets verdrängt hast, als nach einer (hoffentlich) überstandenen Krebserkrankung. Eine Möglichkeit deine Träume und Wünsche zu formulieren, ist die Bucket List.

Ein typisches Szenario: Feierlich kehrst du zurück an deinen Arbeitsplatz und merkst recht bald: Das ist nicht, was ich vom Leben haben will. Was mache ich hier? Wenn du dich das fragst und trotzdem weitermachst, wird die Energiewaagschale wahrscheinlich in die falsche Richtung kippen. Inauthentizität raubt auch ohne Krebs viel Energie. Es gibt ein Leben vor und nach dem Krebs, ein Leben 2.0 – und dahingehend stellt sich die Frage: Wann (um)orientieren, wenn nicht jetzt?  

Hier geht’s zu allen Kurvenkratzer-Checklisten

Über die Serie

Eine Krebsdiagnose schlägt wie ein riesiger Meteorit in das Leben von Betroffenen und Angehörigen ein. Wer damit konfrontiert wird, weiß im ersten Moment nicht, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Das ist komplett normal. Bisher schien alles so toll in geradlinigen Bahnen zu verlaufen. Nun sind vom einen auf den anderen Tag die Prioritäten total verschoben.

Kurvenkratzer reicht dir mit dieser Checklisten-Serie Tipps für die Bewältigung des Schocks. Wir haben praxiserprobte Hilfestellungen für die häufigsten Situationen während einer Krebserkrankung für dich auf Lager – vom medizinischen Gespräch bei der Diagnosestellung bis zum Reha-Aufenthalt in der Nachsorgephase. Und wir geben Impulse, wie dir ein achtsamer Umgang mit der Erkrankung gelingt.

Bitte beachte: Krebs ist höchst individuell. Die auf diesen Seiten enthaltenen Informationen stellen keine verbindliche und vollumfängliche medizinische Auskunft dar. Bitte berate dich betreffend deiner Therapieentscheidung jedenfalls mit deiner Ärztin oder deinem Arzt. Kurvenkratzer übernimmt keine Haftung für Fehlbehandlungen.

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