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Aufmerksamkeit für seltene Erkrankungen
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11 seltsame Dinge, die du über seltene Krankheiten wissen solltest

Schlechte Versorgung, wenig Forschung, kaum öffentliche Sichtbarkeit: Über seltene Erkrankungen weiß fast niemand Bescheid. Das wollen wir ändern und das kannst auch du, nachdem du diesen Artikel gelesen hast.

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Fakt #8: Daten sind zum Vernetzen da 

In derselben Umfrage sprechen sich fast alle Betroffenen – 96 Prozent! – klar dafür aus, dass ihre Daten verwendet werden sollen, um die Forschung zu verbessern. Kein Wunder: Für 94 Prozent der seltenen Erkrankungen gibt es immer noch keine spezifische Behandlung – jedes bisschen Unterstützung für die Forschung und Entwicklung von Therapien hilft also.  

Doch derzeit bleiben die so wichtigen medizinischen Daten meist ungenutzt – Datenvernetzung ist auch 2024 noch ein Problem. Obwohl die EU einen “Gesundheitsdatenraum” anstrebt, fehlt ein solcher in einzelnen Mitgliedstaaten, wie etwa Österreich. Ein Problem ist auch die schleppende Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Statt Vernetzung gibt es Dateninseln – medizinische Daten bleiben meist in den Krankenhäusern und werden kaum geteilt. 

“Es braucht durchgängige krankheitsspezifische Register und ein österreichweites Register für seltene Erkrankungen insgesamt”, brachte es Dominique Sturz von Pro Rare Austria am Rare Disease Day auf den Punkt – der passenderweise an einem seltenen Schalttag stattfand: dem 29. Februar.  

Übrigens wollen Betroffene ihre Daten nicht ohne Wenn und Aber zur Verfügung stellen: Sie wollen wissen, wofür die Daten verwendet werden. Ein Drittel der Befragten hat Angst vor negativen Folgen in Form von Diskriminierung aufgrund ihrer Krankheit. Da ist es wieder, das Thema Diskriminierung (siehe #7). 

Aufblasbare Schwimmtiere im Pool
Dateninseln statt Vernetzung. Im Jahr 2024 sollte die Vernetzung von medizinischen Daten selbstverständlich sein. Leider bleiben die meisten Daten ungenutzt. (Foto: Unsplash/James Lee)

Fakt #9: Man kann es im Baby-Alter erkennen. Man sollte. 

Habt ihr schon mal von Neugeborenen-Screenings gehört? Wahrscheinlich schon – in den Medien wird immer wieder darüber diskutiert. Unter solchen Screenings versteht man Untersuchungen kurz nach der Geburt, um möglichst früh zu erkennen, ob ein Baby an bestimmten Krankheiten leidet. Inzwischen ist es möglich, auch viele Erbkrankheiten früh zu erkennen – verständlicherweise haben viele Menschen aber auch Bammel vor solchen Untersuchungen. Das ist ähnlich wie die Angst vor dem Arztbesuch: emotional nachvollziehbar. Aber kein Grund, nicht hinzugehen. 

Was das mit seltenen Erkrankungen zu tun hat? Viel. Denn fast drei Viertel aller “Seltenen” sind genetisch bedingt. Viele davon könnten also durch entsprechende Screenings frühzeitig entdeckt und behandelt werden 

Fast drei Viertel aller seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt.

Wenig Wunder also, dass Menschen mit seltenen Erkrankungen eine Ausweitung der Neugeborenen-Screenings befürworten. Bei einer Befragung gaben 73 Prozent der Betroffenen an, dass sie es vorgezogen hätten, wenn die seltene Erkrankung, von der sie betroffen sind, bei der Geburt diagnostiziert worden wäre. 

Fakt #10: Manche Krankheiten sind nicht selten, sondern vernachlässigt 

Werfen wir einen Blick über den europäischen Tellerrand. Hast du schon einmal von Kala Azaar gehört? Oder Chagas? Oder der Schlafkrankheit? Dengue? Okay, die letzten beiden sind uns noch am ehesten ein Begriff. Der gemeinsame Nenner dieser Krankheiten ist, dass sie im globalen Süden auftreten und dort Abermillionen Menschen betreffen. Doch es gibt kaum Medikamente, oder nur sehr veraltete, oft toxische, mit sehr starken Nebenwirkungen. 

Man spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten vernachlässigten Krankheiten. Man nennt sie so, weil sie zu wenig beforscht werden und nicht an Medikamenten gearbeitet wird – aus wirtschaftlichen Gründen. Zahlt sich nicht aus. Es sind keine Gewinne zu erwarten 

Das ist ein Problem – wir erinnern uns an den Anfang dieses Artikels: Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht. Aus diesem Grund gibt es eigene Initiativen, die versuchen, selbst Therapien für vernachlässigte Krankheiten zu entwickeln. Wenn du dich dafür interessierst, empfehlen wir diesen kurzen Film über die “Drugs for Neglected Disease Initiative”: 

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Dieser Film verfolgt die Arbeit von drei Wissenschaftlern zur Entdeckung, Entwicklung und Bereitstellung von Heilmitteln für Patient:innen, die zu lange im Schatten gelebt haben. (Video: YouTube)

Fakt #11: Frankreich macht richtig viel Kohle locker. Österreich nix. 

Was ist der Unterschied zwischen Frankreich und Österreich? Im Bereich der seltenen Erkrankungen sind es exakt 777.659.100 Euro. So viel hat Frankreich nämlich im Rahmen eines nationalen Aktionsplans für den Kampf gegen seltene Erkrankungen zur Verfügung gestellt. 

In Österreich gibt es für diesen Bereich gar kein öffentliches Geld. “Bei uns erhalten die vom Gesundheitsministerium designierten Expertisezentren für seltene Erkrankungen, die auch Teile der europäischen Referenznetzwerke für seltene Erkrankungen sind, keinen Cent für die Arbeit, die sie dort verrichten sollen”, erzählt Claas Röhl, unser Experte auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen. 

“Die vom Gesundheitsministerium designierten Expertisezentren erhalten keinen Cent für die Arbeit”
Claas Röhl
Kurvenkratzer-Experte für seltene Erkrankungen

Er fügt hinzu: “Zwar gibt es hohe Ansprüche an den Output, der geleistet werden soll. Aber null Finanzierung.” In Deutschland erfolgt die Versorgung in Zentren für seltene Erkrankungen. Auch diese “ZSE” genannten Einrichtungen sind chronisch unterfinanziert, das hat auch eine Petition im Jahr 2022 nicht geändert. 

Gehet hinaus und verkündet die Botschaft

So, Liste feddisch gelesen! Und was jetzt? Wie kannst du jetzt dazu beitragen, seltene Erkrankungen stärker ins Bewusstsein von Leuten zu rücken?

Ganz einfach. Mit dieser Liste bist auch du bestens dafür gerüstet. Egal, ob du diesen Artikel auf deinem favorisierten Social Media-Kanal teilst, den Link an deine Freund:innen schickst oder ob du dein neues Wissen effektvoll bei der nächsten Party einstreust (“Wusstest du,…”) – Hauptsache, du tust es.

Aus Erfahrung können wir sagen: Jedes Bisschen hilft.

Was fordert Kurvenkratzer?

Wir brauchen eine ausreichende, gesetzlich geregelte Basisfinanzierung, die es Selbsthilfeorganisationen und der qualifizierten Patient:innenvertretung ermöglicht, ihren gesellschaftlichen Auftrag wahrzunehmen. Fehlt eine solche geregelte Finanzierung, sind Vereine und Organisationen gezwungen, erhebliche Ressourcen für Fundraising-Aktivitäten aufzuwenden – auf Kosten ihres Kernauftrags.
In Deutschland müssen die bestehende Basisfinanzierung aufgewertet und mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden.

In Österreich muss ein generelles Umdenken stattfinden – weg von einer Mentalität der Almosen-Vergabe, hin zu einer Professionalisierung im Förderwesen und somit auch in der Patient:innenvertretung.

Links & Quellen:

Die Produktion dieses Artikels wurde von AOP Orphan Pharmaceuticals GmbH (AOP Health) unterstützt, unter Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit.

Titelbild: Unsplash/Mulyadi

Über die Serie

Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in.

So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können.

Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.

Mit  dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.

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