Die zehn ultimativen Erkenntnisse des Gesundheitswesens
Das Gesundheitswesen reflektiert, was es in den Gesprächen mit Expert:innen gelernt hat. Das Ergebnis ist eine To-Do-Liste, wie das System zukunftsfähig gemacht werden kann.
Die letzte Runde Erkenntnisse:
Erkenntnis #7: Digitalisierung ist die große Chance (fast) alles einfacher zu machen. Aber nicht um jeden Preis!
Ich weiß noch als ich eines Tages aufgestanden bin und mir dachte, dass jetzt der Zeitpunkt ist, um gesund zu essen, Sport zu treiben, zu meditieren, etc. Und dann musste ich herausfinden, dass das nur der Anfang eines langen Prozesses war.
Und der hat tatsächlich mit einer Fitnesstracker-Uhr begonnen. Als ich gecheckt habe, dass die Digitalisierung mehr ist als eine Ablenkung mit Pusch-Benachrichtigungen – sie ist vielmehr eine riesige Chance, das Gesundsein einfacher zu machen.
Ich war ja anfangs skeptisch. Das hat sich mittlerweile gelegt. Dabei geholfen hat mir Birgit Bauer, die mit Data Saves Lives einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über die Vorteile von Gesundheitsdaten leistet. Mich hat sie jedenfalls überzeugt.
Wie Digitalisierung uns beim Gesundsein, -werden und -bleiben hilft, ist in diesem Tagebucheintrag nachzulesen.
To-do:
- Die elektronische Patient:innenakte optimieren und flächendeckend einführen.
- Der Bevölkerung beibringen, wie sie mit der Sammlung und Analyse ihrer Daten grundsätzlich umgehen sollen.
- Geeignete Rahmenbedingungen schaffen, damit die Vorteile der Digitalisierung optimal genutzt werden können.
- Datenschutz gewährleisten.
- Alle Ärzt:innen sollten Zugriff auf digitale Befunde haben, um überflüssige Untersuchungen zu vermeiden.
Ich habe jetzt zwar alle möglichen Gesundheits-, Tracking- und Fitnessapps, aber Sport mache ich noch immer nicht. Aber hey – Schritt für Schritt. Es ist nicht einfach, gleichzeitig das Gesundheitssystem zu retten und gesund zu leben.
Erkenntnis #8: Die Bevölkerung (inklusive Ärzt:innen) wird älter und braucht neue Versorgungsmodelle – vor allem am Land.
Ich habe es mit Bewegung versucht. Aber dann kam eine hartnäckige Erkältung dazwischen, die ich erstmal loswerden musste. Deswegen bin ich aufs Land, wo man sich bekanntlich besser erholt.
Aber stattdessen erkannte ich beim Besuch einer Kassenärztin, dass außerhalb der Stadt klaffende Versorgungslücken bestehen, die neue Konzepte erfordern. Kassenärzt:innen haben kaum fünf Minuten Zeit für ihre tendenziell älteren Patient:innen. Viele werden deshalb zu Wahlärzt:innen, andere gehen in Pension. Neue Ideen braucht das Land, befand auch die Ordinationshilfe, die mir die Nummer eines alten Bekannten zusteckte: Max Wudy.
Ein Wahlarzt, der ganz genau wusste, was gegen die Alterung unternommen werden kann, um die ländlichen Versorgungslücken zu schließen. Bei etlichen Gläsern Cola Zero loteten wir alle Möglichkeiten aus. Das ist dabei herausgekommen:
To-do:
- Bessere Primärversorgung und Vorselektion. Das würde Kassenärzt:innen entlasten.
- Telemedizin als Hilfsmittel mehr nutzen. Siehe Digitalisierung.
- Innovative Kooperationsmodelle zwischen verschiedenen Disziplinen schaffen, etwa zwischen mobilen Pflegefachkräften und Gesundheitszentren.
- Allgemeinmediziner:innen wieder in den Mittelpunkt rücken.
- Mehr Gesundheitszentren bauen.
- Einen Plan erstellen, wie man ländlichere Regionen für Jungmediziner:innen attraktiver macht (á la Landarztquote).
Hier lang für einen Artikel, in dem alle Versorgungsmodelle der Zukunft ausgelotet werden.
Erkenntnis #9: Wir haben bisher nichts aus dem Medikamentenmangel der letzten Jahre gelernt!
Statt mich zu erholen, habe ich weiter meinen Stressoren nachgeforscht. Und als ich dann mit einer Grippe komplett flach lag, dachte ich, meine Reise wäre pausiert. Aber nix da. Alexa wollte meine Medikamente nicht bestellen. Das kam mir schon etwas fischig vor. Es stellte sich heraus, dass sie einfach nicht verfügbar waren. Und schon fuchste mich die nächste Sache: Lieferengpässe.
Da habe ich meinen alten Interrailfreund aus Saragossa angerufen: Richard Pibernik. Der erweiterte meinen Horizont über die Medizin hinaus und offenbarte mir, dass wir aus Covid nicht viel gelernt haben. Wenn nur einzelne Wirkstoffe fehlen, und das Medikament somit nicht vollständig produziert werden kann, kommt die ganze Produktion zum Erliegen.
Die Politik will deshalb die Produktion nach Europa zurückverlegen. Richard hingegen meint, die Lieferkette sollte diversifiziert werden, damit Medikamente nicht mehr aus China und Indien bezogen werden.
Einfache Lösungen gibt es weder hier noch sonst wo. So viel war mir zu dem Zeitpunkt bereits klar.
Lieferketten und Medikamentenengpässe sind langweilige Themen? Überzeuge dich mit diesem Artikel vom Gegenteil.
To-do:
- Lieferketten der Medikamentenhersteller diversifizieren und auf mehrere Bezugsquellen aufteilen.
- Geeinigtes Einlagern von Sicherheitsbeständen in der EU.
- Notfallplan aufsetzen.
Erkenntnis #10: Rehabilitation ist kein Selbstläufer!
Nach meiner Grippe und dem Burnout und all der Weiterentwicklung (die ja auch anstrengend ist), hatte mir meine Psychotherapeutin eine Reha empfohlen. Eine eifrige Recherchesession ließ mich auf das Reha-Zentrum Ückeritz stoßen. Dort begegnete mir das Gesicht einer alten Bekannten von der Uni, die mich prompt zur Ostsee einlud: Jana Barinoff (die Anzahl der Zufälle auf meiner Entdeckungsreise ist nicht mehr normal).
Sie ist die ärztliche Direktorin dort und zeigte mir, worauf es beim Rehaantrag ankommt. Sie betonte, dass die Reha kein Entspannungsurlaub ist. Das klang nicht gerade spaßig. Aber nach allem, was ich in den letzten Wochen und Monaten gelernt und gesehen hatte, war ich mehr als bereit, endlich wieder das Gesundheitswesen zu sein – besser als je zuvor!
Was du beim Antrag auf eine Reha beachten musst und warum Rehabilitation kein Entspannungsurlaub ist, weiß dieser Tagebucheintrag.
To Do:
- Rehaprogramm durchziehen.
- Als erfrischtes und progressiv denkendes Gesundheitswesen in die Arbeit zurückkehren.
- Diesmal bekomme ich die Wiedereingliederung hin!
Erkenntnis #777: Das Gesundheitswesen is (on the way) back, Baby!
Heute weiß ich: Ich war so gestresst, weil ich tief in mir drin wusste, dass Veränderung nötig war. Nur hatte ich keine Ahnung, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, die nur darauf warten, uns das Leben einfacher zu machen.
Wer sich gegen den Fortschritt stellt, wird einfach überrannt. Genau das ist mir passiert. Doch gerade ich als Gesundheitswesen sollte demonstrativ voranschreiten. Hier geht es immerhin nicht um das nächste Gadget, sondern um das Wohlergehen echter Menschen.
In der perfekten Utopie bin ich nur noch eine Randerscheinung, weil die Bevölkerung so viel über ihre eigene Gesundheit weiß, dass sie selbstbestimmt Entscheidungen treffen kann. Und die Pflegekräfte sind ausgeruht und haben alle Berechtigungen, die sie brauchen.
In der perfekten Utopie ist der Föderalismus abgeschafft und alle Krankenhäuser stimmen sich aufeinander ab. Die Gesundheitszentren sind kooperative Medizinfestungen und gehen auf die Bedürfnisse der alternden Bevölkerung ein. Chronisch Kranke bekommen finanzielle Unterstützung zugesichert, während digitale Wunderapps sie effizient beim Gesundwerden unterstützen.
Und vor allem: Arbeitsmodelle sind flexibel und geben den Menschen Zeit, sich um sich selbst zu kümmern. Ich für meinen Teil hätte das schon lange gebraucht.
Die Landschaft zieht an meinem Zugfenster vorbei. Mein Gesicht spiegelt sich. Ich gefalle mir wieder. Eine Reha noch und ich bin ein gesundes Gesundheitswesen auf dem Weg in die Zukunft. Ich kann’s kaum erwarten, meinen Kolleg:innen von all meinen Erkenntnissen zu berichten. Und was meine Therapeutin wohl sagen wird?
Titelbild: Lena Kalinka
Über die Serie
Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.
In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.