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So trauert die Welt.
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Ein Blick über den Sargrand – Trauerrituale rund um den Globus

Die Welt ist bunt, der Tod nicht für jede:n das Ende, und Trauern nicht immer schwarz. Blickt man über den Sargrand, fällt relativ schnell auf, dass der Trubel rund um den Tod in vielen Kulturen eine lebensbejahende Angelegenheit ist. 

New Orleans: Jazz  

Haach, New Orleans. In der Stadt am Mississippi-Delta ist das gesamte Leben scheinbar eine einzige Parade inklusive Big Band. Aber nicht nur das Leben, auch der Tod eigentlich. Beim Trauermarsch ziehen Big Bands mit schweren, trägen Noten umher. Aber nur, bis die Bestattung vonstatten geht. Danach verwandelt sich die Musik in eine ekstatische Ode an das Leben.

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Schwerfällig und leicht betrunken wirkt der Big-Band-Trauermarsch. (Video: YouTube)

Sulawesi, Indonesien: animistisch 

Der schläft doch nur 

Hast du gewusst, dass die Madegass:innen vielmehr von indonesischen Völkern abstammen als von den afrikanischen Festländer:innen? Tjaja, diesen Fun Fact wollten wir immer schon mal anbringen, aber auf Partys interessiert sich nie jemand für so etwas.  

Jedenfalls ist folgendes Ritual ein weiterer Beweis dafür. Denn die Rituale der Indonesier:innen auf der Insel Sulawesi ähneln jenen der Madegass:innen sehr, nur sind sie noch pompöser. Stell dir vor, jedes Mal, wenn jemand stirbt, wird ein mehrtägiges Fest für das ganze Dorf organisiert. Wasserbüffel und Schweine werden geschlachtet, der Sarg aufwendig gestaltet, die Tanzbeine geschwungen, der:die Tote neu eingekleidet.

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Achtung, Leichen! Die Bilder sind wohl nicht für jede:n. Für den Stamm der Toraja ist ihr Anblick aber völlig normal. So normal, dass sie sogar mit ihrer toten Oma in einer WG wohnen (Erklärung auf Englisch). (Video: YouTube)

Der Clou dabei ist, dass der:die Verstorbene nicht beerdigt werden darf, bis dieses kostspielige Fest passiert. Manche Familien müssen Jahre dafür sparen. Bis dahin hängt die Leiche daheim ab und wird allenfalls als Schlafende:r behandelt.

Naja, ist das Tohuwabohu geschehen und alle sind zufrieden, bringt man den Leichnam an die eine heilige Stelle, wo alle anderen Leichname des Dorfes auch chillen – meist in eine Höhle oder ein Steingrab. Ewige Ruhe gibt’s aber nicht, denn zum jährlichen Ma’Nene-Ritual werden die Körper wieder aus dem Loch geholt und durch das altvertraute Dorf geführt. Falls sich irgendwer fragt, ob der Totengestank das Ritual nicht ungenießbar macht: Dank der Konservierung durch Formaldehyd befinden sich die Körper auch nach mehreren Jahren in bemerkenswertem Zustand.

Japan: buddhistisch  

Sechs Pfennig für die Totenfähre 

Die gute alte Totenwache. Eine Nacht wie keine andere. In Japan verharrt man eine Nacht lang bei der:dem Verstorbenen, die:der in einen weißen Kimono gehüllt wird. Das Pilgergewand für die Reise quasi.  

Sechs Münzen werden ihm:ihr außerdem zugesteckt, um das Fährgeld für den Fluss in die Unterwelt zu bezahlen. Der Weg soll aber kein leichter sein, von bösen Geistern gesäumt, deshalb das Schwert auf dem Kimono. Der älteste Sohn spricht derweil traditionelle Gebete, bis die liebe Sonne aufgeht und die Einäscherung folgt.  

Und jede:r, der:die schonmal eine Beerdigung veranstaltet hat, weiß, dass das ganz schön teuer werden kann. Gut also, dass die zur Beisetzung geladenen Japaner:innen dann schon mal Geldgeschenke mitbringen, um den Totentrubel zu finanzieren. 

Mexiko/Lateinamerika: Dia de los muertos 

Zu Besuch aus dem Jenseits 

Der Klassiker unter den berühmten Trauerritualen. Zu guter Recht, immerhin hat sich mittlerweile ganz Lateinamerika von dem mexikanischen Brauch inspirieren lassen. Wie bei Halloween wird vom 31. Oktober bis zum 2. November gefeiert. Nur geht es in Mexiko viel lebensbejahender zu.  

Der Ursprung dieser quirligen Totenfeiern geht von den mexikanischen Ureinwohner:innen aus. Insbesondere die Azteken hielten das klägliche Betrauern der Toten als respektlos. Für sie war der Tod bloß eine weitere natürliche Phase im Kontinuum des Lebens. Dementsprechend werden Verblichene auch heute weiterhin zur Familie gezählt. Hauptsache ist, man erinnert sich an sie, denn solange das der Fall ist, leben sie weiter.   

Todos somos calaveras. Alle sind wir Schädel. Und Calacas (Skelette) ebenso. Du kennst sicher die Bilder von kunstvoll geschminkten Frauen mit farbenfrohen Kleidern oder Skelettkostümen. In solcher Montur feiert man am Tag der Toten ausgelassene Festumzüge und Partys, singt, tanzt, und hängt am Friedhof ab. 

Ein geschmückter Altar mit vielen Flaschen Alkohol.
Ein alkoholreiches Beispiel für eine Ofrenda. (Foto: Unsplash/Roger Ce)

Dort errichten die Familien dann individuell geschmückte Altare (Ofrendas), um die Verstorbenen nach ihrer langen Reise mit Geschenken willkommen zu heißen. Mit der Lieblingsmahlzeit, alten Fotos, Kerzen, allem möglichen Gedöns.  

Eine weitere Tradition, die sich etabliert hat, sind die Calaveras. Das ist nämlich nicht nur das Wort für Schädel, sondern auch für sarkastische Grabinschriften, die sich über die Lebenden lustig machen. So eine würden wir auch gerne haben. Der Autor dieses Textes würde sich wohl für “Goodbye and thanks for all the fish” entscheiden. 

Auf der letzten Seite zeigen wir dir, wie die großen Weltreligionen trauern.

Über die Serie

Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.

Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.

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