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Mit uns statt über uns
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Mitsprache: Woanders ist das Gras immer grüner

Wusstest du, dass die Einbindung von Patient:innen in Großbritannien verbindlich ist und deutsche Patient:innen zwar mitreden, aber nicht mitbestimmen dürfen? Darum geht es in diesem Artikel, in dem wir auf der Suche nach Inspiration für mehr Mitsprache über die Grenzen blicken. Und somit über unseren Tellerrand.

Dänemark: Mitsprache? Evident!

“Etwas ist faul im Staate Dänemark”. Diesen Spruch kennst du bestimmt, wenn du Shakespeare-Fan bist (oder in der Schule gut aufgepasst hast). Im Gesundheitswesen trifft das Gegenteil zu: Dänemark gilt in vielen Bereichen als Vorzeigestaat. Politiker:innen aus unseren Breitengraden pilgern gern in das Land von Lego, Wikingern und Smørrebrød, um sich gesundheitspolitisch inspirieren zu lassen. 

Und so wundert es nicht, dass auch die Mitsprache von Patient:innen in dem nordischen Staat einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Eine wesentliche Playerin ist dabei Danske Patienter, eine Dachorganisation aus 24 Organisationen und 104 Einzelverbänden, die sich konstruktiv für die Anliegen von Patient:innen und ihren Angehörigen einsetzt.

Die ausgesprochenen Ziele: Beteiligung auf die politische Agenda setzen, das Bewusstsein für Patient:innenzentrierung in der Politik schärfen und die Entwicklung von evidenzbasierten Politikinstrumenten vorantreiben.

Eine Person liest eine Auswertung mit verschiedenen Grafiken.
Eins ist evident: Dänemark hat den Wert systematischer, faktenbasierter Patient:inneneinbindung erkannt. (Foto: Pexels/Lukas)

Überhaupt spielt das Thema “Evidenz” in Dänemark eine wichtige Rolle. Und damit sind nicht höfliche Bewerbungsabsagen gemeint. Sondern faktenbasierte Entscheidungen. Dafür wurde von Danske Patienter ein eigenes Wissenszentrum eingerichtet. Es sammelt und teilt Evidenz – also harte Fakten – zum Thema Patient:inneneinbindung und stellt dieses Wissen Krankenhäusern und Entscheidungsträger:innen bereit. 

Fragen über Fragen 

Ähnlich arbeitet eine andere dänische Institution, das Kompetenzzentrum für Patient:innenerfahrung und Evaluierung. Das Zentrum kooperiert mit den Regionen, Ministerien, NGOs, anderen Forschungseinrichtungen und Krankenhäusern. Die wichtigste Tätigkeit ist die Durchführung von Befragungen – dadurch können Patient:innen selbst direkt Feedback geben und ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen.

Eine Frau füllt einen Fragebogen aus.
Wie findet man heraus, was Patient:innen wirklich wollen? Ganz einfach. Man fragt sie. (Foto: Pexels/Sora Shimazaki)

Großbritannien: Wenn die Seele bereit ist

Wir bleiben bei Shakespeare, wechseln aber in seine Heimat. Dort ließ er Hamlet in Akt 5, Szene 2 sagen: „Wenn die Seele bereit ist, sind es die Dinge auch.” Und wieder lässt sich eine Brücke zu “Patient:innenbeteiligung” schlagen (was entweder daran liegt, dass Shakespeare ein verkannter Gesundheitsvisionär war – oder seine Zitate sich einfach gut zweckentfremden lassen). Die britische Seele war jedenfalls im Jahr 2013 bereit für eine schlagkräftige Patient:innenstimme, die auch weitreichende Kompetenzen hat.  

Diese wurde mit Healthwatch ins Leben gerufen, einer Interessenvertretung, die in jeder Region des Landes vertreten ist. Healthwatch sammelt Daten zur Patient:innenzufriedenheit, gibt Feedback an medizinische Einrichtungen und schlägt Verbesserungen vor. 

Das Außergewöhnliche daran: Healthwatch MUSS gehört werden. Das stellt nicht nur ein sogenanntes “Memorandum of Understanding” mit dem National Health Service (NHS) sicher – eine Absichtserklärung, die festhält, dass beide Institutionen die Interessen von Bürger:innen und Patient:innen in den Mittelpunkt ihres Handels stellen.  

Das Gesundheitsministerium ist auch verpflichtet, zu konkreten Verbesserungsvorschlägen durch Healthwatch Stellung zu beziehen. Und das ist bekanntlich der erste Schritt zur Umsetzung.

Porträt von William Shakespeare.
Shakespeare, ein verkannter Gesundheitsvisionär? (Bild: Brian Lincolnian/Quelle: flic.kr/p/sUwE2)

I own this place

Großbritannien geht aber noch einen Schritt weiter und macht Patient:innen zu Miteigentümer:innen von Krankenhäusern und anderen Gesundheitsleistungen. Und zwar über sogenannte Foundation Trusts: eine innovative Form gesellschaftlichen Eigentums, die auf Mitgliedschaft basiert.

Nicht nur Patient:innen, sondern auch Bewohner:innen des Einzugsgebiets oder Mitarbeiter:innen der Krankenhäuser können Mitglied werden. Unnötig zu erwähnen, dass ihr Einfluss auf das Angebot dadurch deutlich erhöht wird. 

Bei aller Inspiration aus Shakespeares Heimat muss man aber auch die Kirche im Dorf lassen. Das britische Gesundheitswesen kommt seit Jahren nicht aus den Negativschlagzeilen und steht wegen Unterfinanzierung immer wieder kurz vor dem Kollaps. 

Alles cool in Finnland? Finde es auf der letzten Seite heraus.

Über die Serie

Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in. So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können. Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.

Mit  dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.

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