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Mit uns statt über uns
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Patient Advocacy WTF?!

Bei uns geht es oft um die Einbindung von Patient:innen. Und um “Patient Advocacy”. Patient – was?! Genau! Darum geht es in diesem Artikel: Du erfährst, was Patient:innenvertreter:innen eigentlich machen, was sie fordern – und warum man Mitbestimmung vor allem in Österreich immer noch mit der Lupe suchen muss.

Das Problem: Der breite Fokus der Patient:innenanwaltschaften greift für die meisten Patient:innenorganisationen zu kurz. Was ihnen fehlt, ist der – von Patient:innen selbst angetriebene – Einsatz für die Verbesserung ihrer Gesamtsituation auf ihrem Weg mit der Erkrankung sowie der Kampf um echte Mitsprache.

Don Quijote und die Windmühlen

Eine Revolution sieht also anders aus. Anerkennung übrigens auch: Weil es keine gesetzliche Grundlage für ihre Arbeit gibt, fehlt es Patient:innenvertretungen an Legitimation. Und das bekommen sie zu spüren: So unterscheidet der Gesetzgeber nicht zwischen Laienpatient:innen und qualifizierten Patient:innenstimmen – also Patient Advocates wie Claas Röhl, die sich das nötige Wissen angeeignet haben und Expert:innen auf ihrem Gebiet sind.

Dieser Laienstatus behindert das Mitspracherecht und verhindert den Zugang: zu relevanten Informationen, gesundheitspolitischen Runden, Forschung und Entwicklung sowie zu medizinischen Kongressen und Panels. Entsprechend gering ist derzeit der Einfluss von Patient Advocates, zumindest in Österreich (in Teil 2 unserer Serie geht es um Deutschland. Dort ist die Situation etwas anders, aber auch nicht ideal). 

Sprich: Patient Advocates sind die Don Quijotes des Gesundheitswesens, der Kampf gegen Windmühlen ist ihr tägliches Brot. 

Windmühlen in La Mancha.
Kann man Windmühlen besiegen? Patient Advocates versuchen es. (Foto: Pexels/Jose Francisco Fernandez Saura)

Status: It’s complicated

Doch zurück zur (fehlenden) Mitsprache von Patient:innen bei gesundheitspolitischen Entscheidungen. Dazu hat das Institut für Höhere Studien im Jahr 2019 einen Bericht veröffentlicht. Das Fazit: In Österreich werden Patient:inneninteressen in erster Linie durch gesetzliche, von der Gebietskörperschaft bestellte Patient:innenanwält:innen wahrgenommen – siehe oben –, “während die Rolle und die Kompetenzen unmittelbar Betroffener wie der Selbsthilfeorganisationen eher wenig gesetzlich definiert sind.”  

So weit, so bekannt. Die Autor:innen der Studie staunen aber darüber, dass vor diesem Hintergrund nicht zumindest mehr Erhebungen durchgeführt werden. Der Hintergrund: Solche Umfragen unter Betroffenen sind sozusagen eine Mindestvariante, um Patient:innenbedürfnisse “abzuholen” und zu berücksichtigen. Sie sind in allen anderen Ländern üblich, die in der Studie analysiert werden. 

Die Untersuchung legt sogar nahe, dass die Beteiligung in Österreich mit der Sozialversicherungsreform 2019 weiter abgebaut wurde, weil die Sozialversicherungsgremien reduziert wurden. Und damit die (ohnehin nur indirekte) Beteiligung von Patient:innen und Bürger:innen. 

To-Dos (und To-Dont’s)

Aber richten wir den Blick nach vorne: Wie lässt sich die Situation verbessern?   

Die Liste der To-Dos ist lang. “Wichtig wäre, Patient:innen indikationsspezifisch einzubinden”, sagt Claas Röhl, und meint damit: Wenn in Gremien bestimmte Krankheiten diskutiert werden, sollten Expert:innen aus dieser Patient:innengruppe mitreden und mitentscheiden können.

Hände halten sich schützend fest.
Vertrauen schafft mehr Miteinander. Mehr Miteinander schafft bessere Lösungen. (Foto: Pexels/Pixabay)

Klingt logisch? Ist aber nicht üblich. “Meist läuft es so, dass alles schon fertig ausgearbeitet wurde und dann gesagt wird: ‘Wir brauchen jetzt noch Input von Patient:innen. Lassen wir das mal reviewen!’ Wenn der:die Vertreter:in der Patient:innen dann sagt: Das passt nicht, warum habt ihr das so gemacht? Dann heißt es: Wir haben das ausführlich diskutiert in unserer Expert:innenrunde, und so ist es am besten.”

Womit wir wieder beim Haus mit den fehlenden Zimmern sind. Ist denn in naher Zukunft ein besseres Haus mit genügend Zimmern geplant? Was muss überhaupt passieren, damit es mehr Mitsprache gibt? 

Einen Vorschlag dafür liest du auf der letzten Seite!

Über die Serie

Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in.

So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können.

Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.

Mit  dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.

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