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Mit uns statt über uns
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Patient Advocacy WTF?!

Bei uns geht es oft um die Einbindung von Patient:innen. Und um “Patient Advocacy”. Patient – was?! Genau! Darum geht es in diesem Artikel: Du erfährst, was Patient:innenvertreter:innen eigentlich machen, was sie fordern – und warum man Mitbestimmung vor allem in Österreich immer noch mit der Lupe suchen muss.

Was muss also passieren, damit es künftig mehr Mitsprache durch Betroffene gibt?

Eine Frage für den Bundesverband für Selbsthilfe Österreich. Das ist der Dachverband der bundesweit tätigen, themenbezogenen Selbsthilfe- und Patientenorganisationen. Und der hat uns gemeinsam mit “Pro Rare – Allianz für seltene Erkrankungen” folgendes Statement geschickt und legt Wert auf wortwörtliche Wiedergabe (wir entschuldigen uns für die etwas komplizierte Sprache, der Inhalt ist aber wichtig). 

Forderungen für mehr Mitsprache

  • Gesicherte, einheitliche Basis- und Projektfinanzierung für Selbsthilfe- und Patient:innenorganisationen auf Bundesebene 
  • Formalisierte Beteiligung von Selbsthilfe- und Patient:innenvertreter:innen in sozial- und gesundheitspolitischen Gremien auf Bundesebene 
  • Gesetzliche Verankerung der Selbsthilfe in Österreich in Form eines Beteiligungsgesetzes

Der Prozess dorthin solle “in zwei untrennbaren Phasen” verlaufen:

Phase 1: “Zuerst die Erarbeitung eines, die Ziele berücksichtigenden, Beteiligungskonzeptes der formalisierten kollektiven Beteiligung von legitimierten Selbsthilfe- und Patient:innenvertreter:innen auf Bundesebene unter Federführung der legitimierten zwei oben angeführten bundesweiten Selbsthilfe-Dachorganisationen.”

Phase 2: “Direkt im Anschluss muss dieses Beteiligungskonzept in Form eines Beteiligungsgesetzes im Zuge einer Neugestaltung der Gesundheitsreform (Zielsteuerung-Gesundheit neu) umgehend umgesetzt werden.” 

© Bundesverband für Selbsthilfe Österreich & Pro Rare – Allianz für seltene Erkrankungen

Und das Ministerium so…

Okay. Wir wissen jetzt: Die Einbindung von Patient:innen ist wichtig, sie klappt aber noch nicht so recht. Forscher:innen stellen Österreich auch kein gutes Zeugnis aus. Seitens der Patient:innenvertretungen liegen aber konkrete Vorschläge zur Besserung der Situation auf dem Tisch.  

Was sagt das Gesundheitsministerium dazu? Wir haben nachgehakt. Auch diese Antworten geben wir wortwörtlich wieder, damit du dir ein gutes Bild machen kannst:

Was macht das Ministerium, um mehr Mitbestimmung zu ermöglichen, statt der derzeitigen unformalisierten, erratischen und unzureichenden Teilnahme an Gremien?  

Gesundheitsministerium: “Uns ist die Beteiligung von Bürger:innen und Patient:innen in der Mitgestaltung des Gesundheits- und Sozialwesens sowie die Beteiligung an Entscheidungsprozessen ein großes Anliegen. Nur so können wir sicherstellen, dass das System mehr und mehr auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet wird und dass vor allem auch die Selbsthilfe ein selbstverständlicher Teil dieses Systems wird.  

Denn sie erbringt für Patient:innen sehr wichtige Funktionen wie etwa gemeinschaftliche Unterstützung, Information und Beratung. Um die Qualität der Beteiligung in Gremien weiter zu stärken, soll in Kürze ein durch die Österreichische Kompetenz- und Servicestelle für Selbsthilfe (ÖKUSS) geleitetes Projekt starten.” 

Wie reagiert das Ministerium auf die Kritik, dass die Vertretung durch Patient:innenanwaltschaften unzureichend und zu allgemein ist, mit einem zu starken Fokus auf Beschwerdemanagement statt auf Mitbestimmung? Sind weitere Schritte für mehr Mitbestimmung geplant? 

Gesundheitsministerium: “Eine umfassende Einbindung von Betroffenen-Vertreter:innen in viele Beratungsgremien des Gesundheitsministeriums ist von großer Bedeutung, sodass ihre Perspektiven Berücksichtigung finden können. Betroffenenvertreter:innen sind bereits jetzt in vielen Beratungsgremien und Beiräten des Gesundheitsministeriums eingebunden.  

Die Aktivitäten der „Agenda Gesundheitsförderung“ haben zur Erarbeitung von Konzepten zur weiteren Stärkung der Bürger:innen- und Patient:innenbeteiligung geführt, die in Umsetzung gebracht werden sollen. Dazu finden aktuell Gespräche statt.” 

Wie steht der Gesundheitsminister zum Vorschlag für ein Beteiligungsgesetz, das die Patient:innen-Einbindung in gesundheitspolitische Entscheidungen festschreibt und formalisiert? 

Gesundheitsministerium: “Eine Einbindung der Patient:innenvertretungen in gesundheitspolitische Entscheidungen ist ein Schritt in Richtung eines bedarfsgerechteren und resilienteren Gesundheitssystems und bleibt ein zentrales Anliegen des Gesundheitsministeriums.”

Wir bleiben dran!

Du siehst es schon – an guten Absichten mangelt es nicht. Bis Patient:innen verbindlich und auf Augenhöhe eingebunden werden, bleibt aber noch einiges zu tun. 

Wir versprechen aber: Wir bleiben dran! Das machen wir, indem wir in der Serie “Mit uns statt über uns” Mitbestimmung und Patient Advocacy von verschiedenen Seiten beleuchten. Wir werden uns den Status quo in Deutschland und Österreich anschauen, über die Grenzen in andere Länder blicken und heiße Themen wie Gesetzeslücken, Ausbildung von Patient Advocates sowie die Einbindung in Forschung und Entwicklung recherchieren. Denn wir wissen: Was bei uns derzeit noch nicht geht, geht in anderen Ländern schon längst.  

Zum Schluss ein Disclaimer

In unserer Brust schlagen zwei Herzen. Wir sind ein Magazin und arbeiten journalistisch. Wir fühlen uns also einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity. Und wir wollen, dass das Haus der Behandlung genügend Zimmer für all eure Bedürfnisse hat. In dieser Serie werden wir beide Herzensanliegen vereinen. Denn der erste Schritt für mehr Mitsprache ist das Bewusstsein für die Möglichkeiten. 

Was fordert Kurvenkratzer?

“Die Patient:innenbeteiligung in Österreich muss formalisiert und gesetzlich verankert werden. Wir Patient:innen wollen nicht nur pro forma eingebunden werden. Wir wollen mitreden: Wenn gesundheitspolitische Entscheidungen getroffen werden, die uns direkt betreffen. Und wenn neue Behandlungen für unsere Krankheiten entwickelt werden. Wir wollen, dass gemeinsam mit uns entschieden wird – statt über uns.” 

 

Quellen und Links:

Hinweis: Claas Röhl ist seit September Teil der Kurvenkratzer-Gang.

Titelbild: Pexels/Yaroslav Shuraev

Über die Serie

Stell dir vor, du hast kein Wahlrecht. Du lebst zwar in einem modernen Staat, doch es gibt niemanden, der oder die deine Interessen vertritt. Sobald du bei Entscheidungen mitreden willst, heißt es: Sorry, das geht nicht. Du bist ja kein:e Expert:in.

So ähnlich könnte man den aktuellen Zustand der Patient:innenvertretung beschreiben. Okay, das Gesundheitssystem ist natürlich keine Diktatur. Tatsache ist aber, dass Patient:innen in vielen Ländern bei wesentlichen Entscheidungen kaum mitbestimmen können.

Genau darum geht es in “Mit uns statt über uns”. In unserer Serie machen wir erfahrbar, warum es dringend mehr anerkannte, professionelle Patient:innenvertretungen braucht. Wir greifen das Thema in aller Tiefe auf. Zeigen Beispiele, blicken in andere Länder, entlarven die Einwände, sprechen über Vorteile und schlagen vor, wie ein Paradigmenwechsel funktionieren könnte.

Mit  dieser Serie verbinden wir zwei Leidenschaften. Wir sind ein Magazin, arbeiten journalistisch und fühlen uns ausgewogener Berichterstattung verpflichtet. Wir sind aber auch Teil von euch, unserer Patient:innencommunity, und wollen mehr Mitsprache. Wir nehmen uns nichts Geringeres vor, als beides zu erreichen.

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