Von Ribbons zu Resultaten: Was der Brustkrebsmonat wirklich bewegt hat
Seit über 30 Jahren wird jeden Oktober die Marketingkurbel angeworfen, um die Welt mit der Farbe Pink auf Brustkrebs aufmerksam zu machen. Wir holen die Statistiken raus und sehen uns an, was der Radau bewirkt hat.
Tausende von Unternehmen machen auf Pink
Viele Marken beteiligen sich an der Bewusstseinsbildung und unterstützen die Kampagne. Das Logo wird vorübergehend geändert oder es werden pinkfarbene Produkte hergestellt. Von Dessousherstellern wie Victoria’s Secret zu den großen Tech-Unternehmen (Apple, Google, etc.) und Turnschuhgiganten wie Nike und Adidas – gefühlt springt die ganze Industrie jeden Oktober in einen Topf voll Pink.
Der Vorsatz: Ein Prozentsatz des Gewinns wird an die Krebsforschung oder Aufklärung weitergeleitet. Der Erlös soll dabei helfen, die Krankheit der Ausrottung einen Schritt näher zu bringen. Betonung auf “soll“. Die Realität sieht manchmal ein wenig anders aus.
Die Heuchelei des “Pinkwashings”
Es hat sich viel getan seit Betty Ford ihren Brustkrebs öffentlich gemacht hat. Hauptsächlich positives, aber nicht nur. Denn wo Aufmerksamkeit ist, ist auch Geschäft. Und so wird eine tödliche Krankheit hier und da von Unternehmen benutzt, um eigensinnig Marketing zu betreiben. Da kommt es schon mal vor, dass der größte Fisch im Fluss – die Susan G. Komen Foundation – mit Kentucky Fried Chicken kooperiert, indem sie “Buckets” voller potenziell krebserregendem Hühnchen pink einfärben.
So etwas nennt man “Pinkwashing”. Diese Art von Marketing fördert nicht nur Brustkrebsbewusstsein, sondern auch ein konsumorientiertes Frauenbild. Gerade Unternehmen, deren Produkte krebserregende Inhaltsstoffe aufweisen, sind anfällig für Kritik, da es so wirkt, als würden sie Brustkrebs als Vorwand nehmen, um sich ein positives Image zu erkaufen. Aktivist:innen haben außerdem darauf hingewiesen, dass es fast unmöglich ist, die Gelder bis in die Krebsforschung nachzuverfolgen, während Überlebende sich dazu äußern, dass sie das Gefühl haben, ihre Krankheit werde im Namen des Profits ausgenutzt.
Todesraten fallen, Screeningraten klettern
Ganz grob kann man wohl behaupten, dass Brustkrebs in unserem Teil der Welt das Prädikat „Tabuthema“ größtenteils abgelegt hat – das ist sicherlich auch dem Pinktober zu verdanken. In erster Linie bewirkt das, dass Menschen mit Brüsten zur Früherkennung schlendern können, ohne sich schämen zu müssen.
So weit, so pinktastisch. Nun zu den Beweisen: Zeit für Statistik!
Vorsorgeraten
Wie du schon weißt, war der anfängliche Beweggrund des Pinktobers, mehr Frauen für die Mammographie zu begeistern. Gute Nachricht: Das hat tatsächlich funktioniert! Aus einem einfachen Grund: In den US of A muss man für eine Untersuchung nämlich normalerweise die Brieftasche zücken.
Nicht so während des Pinktobers, wenn viele Gesundheitsdienstleister kostenlose Screenings anbieten. Das Ergebnis: 25% mehr Mammographien als im restlichen Jahr. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Screeningrate generell von 70% auf 77% verbessert. Großartig! Aber wir finden: Da geht noch mehr. Wie sieht die Rate in Europa aus?
Die ernüchternde Antwort: Mal so, mal so. In Deutschland gehen drei Viertel der Altersgruppe 50-69 zur Früherkennung, meist aufgrund einer gezielten, persönlichen Einladung. Apropos: Bald wird dieser Einladungsbrief auch im Postkasten von 70 bis 75-jährigen landen, denn der Screeninganspruch wurde im Juli 2024 erweitert. Yippie!
Das war’s aber schon mit guten Neuigkeiten, denn im Europa-Durchschnitt gehen bl0ß 66% zur Mammographie. In manchen osteuropäischen Ländern kippt die Rate gar unter 10 magere Prozent. Urteil: Ausbaufähig.
Hinzu kommt, dass es noch immer eine große Kluft zwischen den Ethnien gibt.
Die Sterberate afroamerikanischer Frauen ist im Vergleich zu weißen um zwei Drittel höher, auch wenn die Inzidenzraten ähnlich sind. Nur eins von vielen Beispielen, denn Minderheiten sind tendenziell benachteiligt, egal wo.
Auch wenn diese Raten ihren Ursprung in systematischer Benachteiligung haben, können Brustkrebskampagnen durchaus ihren Teil dazu beitragen, diese Ungleichheiten auszuradieren. Ach, übrigens: Hast du gewusst, dass blinde Menschen hervorragend Brustkrebs spotten können. Neugierig? Dieser Artikel sagt dir mehr.
Wusstest du? Die Rosa Schleife steht weltweit für Solidarität mit Menschen, die an Brustkrebs erkrankt sind, und soll den Diskurs und die Forschung anregen. Alles begann mit Charlotte Haley, die als ehemalige Brustkrebspatientin auf den Mangel an Finanzierung für die Krebsvorsorge aufmerksam machen wollte. Ihre pfirsichfarbene Schleife wurde 1992 vom Frauenmagazin SELF und Evelyn Lauder (Gründerin des Kosmetikunternehmens Estée Lauder) rosa eingefärbt und international bekannt gemacht. Heute ist die Rosa Schleife nicht nur Symbol, sondern auch Kritikpunkt: Manche sehen darin die Kommerzialisierung des Brustkrebsbewusstseins.
Inzidenzen
Standardisierte Mammographien gibt es in Deutschland erst seit 2005. Logischerweise führt eine erstmalige breitflächige Untersuchung erstmal dazu, dass die Inzidenzen in die Höhe schießen, sprich mehr Fälle erkannt werden. Der Höhepunkt wurde 2008 erreicht, als bei 35 von 10.000 Frauen in der Altersgruppe 50-69 Brustkrebs erkannt wurde. Seitdem geht die Inzidenz aber wieder stark zurück.
Überlebensraten
Kommen wir zum eigentlichen Ziel des Tohuwabohus: Nämlich, dass weniger Menschen an Brustkrebs sterben. Das ist tatsächlich geglückt.
Aber das hat nicht nur mit einem Anstieg des Bewusstseins zu tun, sondern auch mit der Verbesserung der Behandlung und dahingehend auch der Forschung. Was aber definitiv mit Bewusstsein zu tun hat, ist, dass durch die umfassenden Mammographien nun öfter Vorstufen von Brustkrebs (DCIS) entdeckt werden, die sich ansonsten nur selten anhand von Symptomen bemerkbar machen.
Im Vergleich zur Zeit vor standardisierten Screenings ist die Überlebensrate nun um 25% höher (Altersgruppe 50-69).
Globale Reichweite
Überall, wo es Menschen mit Brüsten gibt, gibt es auch Brustkrebs.
Global ist das öffentliche Bewusstsein für Brustkrebs einigermaßen angekommen – 8 von 10 Frauen wissen, was Brustkrebs ist. Wenn es aber um handfestes Wissen geht – also über Symptome und Auslöser von Brustkrebs – stehen wir schon bei mageren 40 bzw. 50%. Gerade in bevölkerungsreichen Ländern wie China ist das Brustkrebsbewusstsein alarmierend niedrig.
Der Brustkrebsglobus ist von Ungleichheit geprägt
Auch wenn um die 70 Länder weltweit Brustkrebsmonat-Kampagnen durchführen, beschränkt sich die pinke Oktoberwelle doch eher auf Länder mit hoher Lebensqualität. Im Rest der Welt, sogenannten “Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen”, ist das Bewusstsein für Brustkrebs noch nicht ganz angekommen, von den notwendigen Ressourcen und Qualitätskriterien ganz zu schweigen.
Dementsprechend weisen insbesondere Länder in Asien und Afrika eine hohe vermeidbare Brustkrebs-Todesrate auf. In Sub-Sahara-Afrika machen Frauen unter 50 Jahren die Hälfte aller Brustkrebs-Tode aus.
Und während hierzulande die 5-Jahres-Überlebensrate bei ca. 87% liegt, ist sie in Indien bei 66% oder in Südafrika bei 40%.
Aber zunehmend poppen auch dort Kampagnen auf – zum Beispiel jene der WHO –, die besseren Zugang zu Screening und Behandlungen in Weltregionen mit begrenzten Ressourcen unterstützen. Es wird Zeit.
Bewusstsein gut, alles gut?
Bleibt uns noch ein letzter Kritikpunkt. Es wurde viel getan, um Screeningraten hochzujagen und somit Brustkrebs früh genug zu erkennen, sodass schon viel weniger Menschen in diesem Teil der Welt daran sterben müssen. Super! Keine Kritik – das ist einfach nur geil. Aaaaber: Sollte man nicht genauso sehr für tatsächlichen Systemwandel sensibilisieren?
Jedes Land hat sein eigenes System, seine eigenen Tücken und Gesetze, die nicht der Zeit entsprechen und Fortschritt verhindern.
Gesetzesneuerungen, wie der 2010 von Obama eingeführte “Affordable Care Act”, der garantiert, dass auch für Unversicherte die Kosten für Brustkrebs-Screenings übernommen werden, sollten bloß der Anfang sein.
40 Jahre nach Betty Ford ist Brustkrebs genauso auffällig wie die die Farbe Pink selbst: Der Radau hat sich also tatsächlich gelohnt. Nicht nur Vorsorgeraten sind durch Aufklärung und Spendenaktionen an einem vorbildlichen Punkt angekommen, auch die Forschungsmaschinerie rattert tüchtig weiter.
Aber trotz aller Fortschritte, braucht es weit mehr als pinke Schleifen: globales Bewusstsein – u.a. für Pinkwashing und echte Systemänderungen, die allen eine faire Chance auf Heilung bieten. Und auch wenn die Brüste gemeinsam mit der Prostata das Krebsranking anführen und somit weitreichende Bewusstseinskampagnen absolut gerechtfertigt sind – pochen wir darauf, dass andere Krebsarten irgendwann genauso viel Aufmerksamkeit bekommen. Vorbeugung sollte bei den Brüsten erst anfangen.
Wir Kurvenkratzer glauben fest daran, dass jeder weitere Oktober uns dieser Realität einen Schritt näherbringt.
Quellen zum Weiterlesen:
- Krebsdaten.de hat eine Studie dazu durchgeführt, wie sich die Screeningraten auf die Inzidenz auswirkt.
- Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat Broschüren zur Verfügung gestellt, die die Problematik der globalen Ungleichheit in Sachen Brustkrebs behandelt.
- In einem übersichtlichen Artikel hat die American Cancer Society zusammengefasst, was man über den Brustkrebsmonat wissen muss, und wie man aktiv werden kann.
- Auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts findest du eine Studie dazu, wie sich die Inanspruchnahme der Mammographien seit ihrer Einführung in Deutschland entwickelt hat.
- Die Brustgenberatung erklärt dir, was genau die Genmutationen BRCA1 und BRCA2 sind.
- Die Breast Cancer Research Foundation blickt auf die größten Durchbrüche in der Forschung zu Brustkrebs der letzten 30 Jahre zurück.
- Pink Ribbon Österreich zeigt hier, wohin ihre Spendengelder fließen.
- Wem sie ihre Forschungsgelder gewähren, zeigt die Breast Cancer Research Foundation hier.
- Hinter diesem Link zur Science-Direct-Webseite verbirgt sich eine Studie zum weltweiten Bewusstsein von Brustkrebs.
- Der Standard hat vor einiger Zeit eine Story zu Pinkwashing gebracht.
- Mehr zur Geschichte des Brustkrebs erzählt dir breastcare.at.
Credit Titelbild: D. Sharon Pruitt
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