Assistierter Suizid: Beihilfe zum Sterben erklärt
Sterbehilfe ist zwar legal, aber das heißt nicht, dass sie sorgfältig geregelt ist. Viele Begrifflichkeiten, viel Verwirrung. Wir erklären dir, wie der assistierte Suizid in Deutschland und Österreich rechtlich funktioniert.
Weiter geht’s mit Vereinen, der Schweiz und ethische Fragen rund ums Thema Sterbehilfe.
4. Es gibt Vereine für Suizidbeihilfe?!
Ja, die gibt es. Und zwar setzen sie sich in Deutschland für ein humanes Ableben ein und übernehmen dahingehend die Vermittlung zu Ärzt:innen, die bereit sind, passive Sterbehilfe zu leisten.
Beispiel: Die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS). Voraussetzungen für eine Durchführung sind:
- Sechs Monate Mitgliedschaft
- Nachvollziehbare Darstellung der Beweggründe
- Krankenunterlagen
- Eine Stellungnahme zu den Sicherheitskriterien
Aber: Nur weil sich eine Person bei einem Sterbehilfeverein anmeldet, heißt das nicht automatisch, dass sie auch dessen Dienste in Anspruch nehmen wird. Eine selbstverantwortliche Entscheidung kann in diesem Fall auch heißen, einen Überlegungsprozess zu starten, indem man sich bei solch einem Verein informiert.
Kein Freitod ohne Freiverantwortlichkeit
Um den selbstbestimmten Suizid wählen zu dürfen, muss der oder die Sterbewillige den Kriterien der Freiverantwortlichkeit entsprechen. Die werden von Ärzt:innen festgestellt und sind folgende:
- Die Person weiß, was sie tut.
- Sie kennt alle Alternativen und handelt nicht aus einem Affekt heraus.
- Sie ist im Freitodwunsch konstant und schwankt nicht hin- und her.
- Sie wird nicht vom Umfeld beeinflusst.
- Sie ist bereit, den Freitod eigenhändig auszuführen.
5. Die Schweiz ist autonom bis zum Lebensende
Soo, kommen wir zum unumgehbaren Teil. Wer Sterbehilfe sagt, denkt früher oder später zwangsläufig an die Schweiz. Die Schweizer:innen sind halt gern autonom und das äußert sich in allen Lebens- und Todeslagen, von der Staatsform bis zum Sterben. Seit 1942, als das Schweizer Strafrecht in Kraft trat.
Auch in der Schweiz ist die aktive Sterbehilfe pfui und die passive meistens legal. Auch hier müssen die Sterbewilligen das Medikament selbstständig einnehmen. Abgesehen davon, gibt es nicht allzu viele Regelungen. Bloß ein einziges Verbot stellt das Gesetz: Beihilfe zum Freitod darf nicht aus selbstsüchtigen Gründen gegeben werden. Das ist sicher nicht ganz so einfach festzustellen, aber okay.
In der Praxis bedeutet das, dass man nicht todkrank sein muss, um den Service zu bekommen. Genau dieser Part ist sehr umstritten, weil Demente (ab dem mittleren Stadium) und psychisch Kranke sich auch anmelden könnten. Ob denen der Freitod gewährt wird, entscheiden aber schlussendlich mehrere Fachkräfte und bei Bedarf noch eine Ethikkommission. Um sich juristisch abzusichern, ist es außerdem üblich, den Sterbenden noch vier Fragen zu stellen.
Sterbehilfevereinigungen wie EXIT oder Dignitas machen ihre Regeln zu einem großen Teil selbst. So kommt es, dass EXIT ihr Freitodangebot nur schweizerischen Staatsbürger:innen anbieten, während Dignitas auch Suizidtourist:innen aus dem Ausland die Tür öffnet.
Richtig auffällig werden die Unterschiede, wenn man in der U-Bahn umherschaut und plötzlich auf folgenden Werbespruch trifft: “Selbstbestimmt am Ende. Einfach anmelden.” Ja, in der Schweiz darf man Sterbehilfe kapitalisieren und Werbung machen, als wäre es das Normalste auf der Welt.
Man muss dazu sagen, dass hier nicht dreist für Suizid geworben wird, sondern stilsicher für die autonome Entscheidung, den Lebensstecker zu ziehen. Schweizerischer geht’s nicht.
6. Aber ist das alles eigentlich ethisch korrekt?
Es ist eigentlich unmöglich, einen Artikel über Suizid und Sterbehilfe stehen zu lassen, ohne eine paar Worte über die ethischen Aspekte zu verlieren.
Generell sprechen sich in Deutschland 69 Prozent für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe aus, ähnlich wie im Nachbarland, den Niederlanden. In Österreich wurde 2022 neben dem Sterbeverfügungsgesetz beschlossen, die spezialisierte Hospiz- und Palliativversorgung auszubauen. Unabhängig von gesetzlichen Regelungen können auch Glaubensgründe dazu beitragen, Sterbehilfe abzulehnen: „An der Hand, nicht durch die Hand von Menschen sterben” ist beispielsweise ein gängiger Leitsatz der katholischen Kirche.
Argumente dagegen
Jene, die gegen aktive Sterbehilfe sind, vertreten ihre Meinung durch folgende Argumente:
Ein verstärkter Druck auf Alte oder Kranke kann zu nicht gewollter Sterbehilfe führen.
Die Pflege Schwerkranker ist für Angehörige und Hospizarbeiter:innen oft nicht einfach. Es gibt daher keine Garantie, dass das verantwortliche Umfeld im Sinne der betroffenen Person entscheidet.
Es kommt schon mal vor, dass Überlebende eines Selbstmordversuchs später ihre Entscheidung nicht mehr so ganz nachvollziehen können.
Wenn (wie in der Schweiz) nicht nur schwerkranke Personen Sterbehilfe in Anspruch nehmen dürfen, sondern auch jene, die beispielsweise an Depressionen leiden, dann kann man wohl argumentieren, dass diese Person nicht unheilbar erkrankt und noch therapierbar ist.
Sobald der schnöde Mammon ins Spiel kommt, kann es sehr schnell passieren, dass die Angelegenheit unethisch wird.
Die Sterbehilfe mag in den Köpfen mancher Leute Erinnerungen an die Euthanasieverbrechen der Nazis wachrufen. Verständlicherweise kann die belastete Geschichte deshalb zu Unsicherheit führen.
Argumente dafür
Stell dir vor du, verlierst die Kontrolle über deine intimsten Bedürfnisse, kannst nicht mehr eigenständig baden, aus Klo gehen, etc. Viele schämen sich und wollen unter solchen Vorzeichen nicht unbedingt weiterleben.
Ganz einfach. Man könnte argumentieren, dass jeder Mensch die Macht und somit auch das Recht hat, sich selbst aus dem Leben zu befördern. Wieso also nicht offen und geregelt mithilfe von Sterbebeihilfe, statt allein im Geheimen.
Hat eine Person mit einer unaushaltbaren und unheilbaren Krankheit zu kämpfen, die die Qualität ihres restlichen Lebens massiv einschränkt, ist ein selbstbestimmter Tod eventuell eine durchaus humane Option.
Beihilfe zum Suizid wird immer umstritten sein. Und egal welche Form nun legal ist, oder nicht – die allermeisten werden nie von ihr Gebrauch machen. Im Endeffekt scheint es für viele Schwerkranke wohl beruhigend, zu wissen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, nicht endlos leiden zu müssen – die Möglichkeit selbstbestimmt den Endpunkt setzen zu können, falls nach ausgiebiger und informierter Überlegung klar wird, dass der Tod die bessere Option ist.
Fakt ist: Aufklärung ist auch hier der Schlüssel. Das Tabu muss weiter gebrochen und das Thema ins Rampenlicht gezerrt werden, damit die Entscheidung zum Lebensende nur dann getroffen wird, wenn es wirklich nötig ist.
Anlaufstellen Suizidprävention
Kreisen deine Gedanken darum, dir das Leben zu nehmen? Sprich mit anderen Menschen darüber. Hier findest du (u.a. anonyme) Hilfsangebote in vermeintlich ausweglosen Lebenslagen. Per Telefon, Chat, E-Mail oder im persönlichen Gespräch.
Deutschland
Telefonseelsorge (0-24 Uhr, kostenlos): 0800/111 0 111, 0800/111 0 222 oder 116 123
E-Mail & Chat der Seelsorge
Hilfsangebote der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention
Psychosoziale Notfallversorgung vom Roten Kreuz
Österreich
Telefonseelsorge (0–24 Uhr, kostenlos): 142
Männernotruf (0–24 Uhr, kostenlos): 0800/246 247
Frauenhelpline (0–24 Uhr, kostenlos) 0800/222 555
Kriseninterventionszentrum (Mo–Fr 10–17 Uhr): 01/406 95 95
Amike-Telefon der Diakonie (für Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund in Farsi, Arabisch, Deutsch, Englisch und Russisch, beschränkte Telefonzeiten)
Spezielle Nummern und Anlaufstellen in den Bundesländern findest du hier.
Quellen zum Weiterlesen:
- Die Tagesschau übersetzt die Sterbehilfe von Schweizerisch auf Hochdeutsch.
- Deutschlandfunk sieht Parallelen zwischen der Lebenshaltung der Schweizer und dem Sterbehilfegeschäft.
- Der ORF erklärt, wie die neue Sterbeverfügung in Österreich geregelt ist.
- Ein Bericht der Tagesschau gibt einen Überblick darüber, wie die Abstimmungen über neue Regelungen bei der passiven Sterbehilfe verlaufen sind.
- November.de schreibt, wie die Sterbehilfe in Deutschland generell funktioniert.
- Euronews beschäftigt sich mit der Sterbehilfe in Österreich und deren Kritiker:innen.
- Das österreichische Bundesministerum für Gesundheit & Soziales hat einen Leitfaden für den Prozess zur Sterbevorsorge zur Verfügung gestellt.
Infos zu Sterbebegleitung:
- Im Lexikon von Spektrum.de findet man eine genaue Definition zur Sterbebegleitung.
- Der deutsche Krebsinformationsdienst ordnet Sterbehilfe rechtlich ein und weist auf die Palliativmedizin hin.
- Diese Broschüre von hospiz.at zeigt die vielfältigen Möglichkeiten auf, die es in Österreich gibt, um das Lebensende mit Qualität gleichzusetzen.
- Universimed.com gibt einen informativen Überblick über die Aufgabenbereiche der Palliativpflege, wer sie in Anspruch nehmen sollte, und warum.
Dieser Artikel wurde von Kurvenkratzer sorgfältig recherchiert, gecheckt und auch einer rechtlichen Prüfung unterzogen. Wir bedanken uns herzlich beim Rechtsdienst des Presseclub Concordia, sowie der Palliativmedizinerin Eva Masel für die Unterstützung.
Titelbild: Pixabay/Marisa04
Über die Serie
Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.
Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.