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Entwicklung von Trauer über die Zeit
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So bahnst du dir den Weg durch das Trauerlabyrinth

Tränen. Die Brust wird eng. Die Gedanken surren. Wir alle kennen die Symptome der Trauer. Wie sich Trauer aber über die Zeit entwickelt und verändert, ist teilweise noch ein Rätsel. Wir gehen den Mythen auf den Grund und führen dich sicher durch den Irrgarten der Trauer.

Wann ist lang „zu lang“? 

Tja. Und wie lange dauert es jetzt, alle Phasen, Twister-Runden und Pole abzuschließen und aus dem Labyrinth herauszufinden? Wann hast du dir selbst genug Zeit gegeben und wie lange ist eigentlich „genug“? Wann ist es „zu viel“? Leichter gefragt als gesagt.  

In Österreich und Deutschland gibt es sogar Klassifikationssysteme dafür. Ja, richtig gelesen. Dort steht zum Beispiel, ab wie vielen Monaten sich deine süße kleine Trauer in eine ausgewachsene „Langzeittrauerstörung“ verwandelt.  

Prolonged Grief Disorder ist eine Erkrankung, die durch eine anhaltende und schwere Trauer gekennzeichnet ist, die länger als üblich dauert und das tägliche Leben der betroffenen Person beeinträchtigt.  

„Länger als üblich“ ist aber im Bereich der Trauerbewältigung nicht leicht zu bestimmen. Die Diagnose für eine anhaltende Trauerstörung kann dabei frühestens nach 6 bzw. 12 Monaten gestellt werden, je nachdem, nach welcher Klassifizierung man sich richtet. Das heißt aber nicht, dass die „normale“ Trauer nicht auch länger dauern kann:

Es ist völlig normal, wenn jemand zwei Jahre braucht, um wieder auf die Füße zu kommen. Und auch, dass er oder sie für die Bewältigung seines oder ihres Alltags Hilfe benötigt.
Heidi Müller
Trauerpsychologin

Besonders wichtig ist, medizinische Diagnosen ausschließlich von professionellem Personal vornehmen zu lassen. Vor allem bei Trauer entwickeln sich Menschen sehr unterschiedlich und die Angaben sind bloß grobe Richtlinien, die nicht auf jeden Menschen anwendbar sind.  

Lass die Profis ran 

Du fragst dich, ab wann du dir professionelle Hilfe suchen sollst, die dich in deinem Heilungsprozess unterstützt? Um dir den Druck etwas zu nehmen, solltest du wissen: Es gibt kein bestimmtes Anzeichen, das dir zeigt, jetzt wird’s problematisch.

Laut Heidi Müller gibt es nicht DAS ausschlaggebende Symptom, sondern eher „atypische Erfahrungen in einer Alters- oder Verlustgruppe“. Vor allem, wenn „jemand nicht mehr klarkommt im Alltag“, ist für sie ein relevantes Zeichen: Wenn das Einkaufen oder Arbeiten über einen sehr langen Zeitraum („über sechs Monate“) kaum möglich ist, solltest du dich also nach Angeboten wie Psychotherapie umsehen und dich beraten lassen. 

Schrift Help Me mit Button
Wenn dein Alltag über lange Zeit zur Herausforderung wird, ist es Zeit für professionelle Hilfe. (Foto: Pexels/Mikhail Nilhov)

Hindurch statt dran vorbei 

Ganz gleich, welches Modell du als Veranschaulichung verwendest – oder ob du Therapie in Anspruch nimmst: Das Wichtigste beim Trauern ist, zu akzeptieren, dass der Kummer nicht dein Feind ist und es sich nichts bringt, ihn zu unterdrücken. Nimm ihn an, wenn er kommt, und akzeptiere, dass es ihn gibt.  

Stimmt, leichter gesagt als getan. Aber die Verarbeitung wird dir leichter fallen, wenn du dir im Klaren darüber bist, dass Trauer in all ihren Formen etwas ganz menschliches ist. 

Was kannst du tun? 

Zusätzlich zu unserem Trauer 101 haben wir dir hier ein paar Tipps zusammengestellt, die dir ein wenig mehr Selbstbestimmtheit im Trauerprozess mit auf den Weg geben:  

  • Affirmationen: Dir selbst positiv zuzusprechen, kann dir überschüssige Anspannung nehmen, dein Selbstvertrauen steigern und dich geduldiger mit dir umgehen lassen 
  • Suche dir Communities: Egal ob persönlich oder via Facebook, Twitter & Instagram – der Austausch mit anderen Betroffenen kann viel Trost spenden. 
  • Psychotherapie: Die ideale Methode, um Trauer zu verarbeiten. Wenn man Therapie nicht in Person in Anspruch nehmen will, gibt es heutzutage auch Optionen über das Smartphone. 
  • Künstlerischer Ausdruck und Handwerk: Malen, DIY-Projekte, Bildhauerei oder auch Gartenarbeit können therapeutisch sein. Durch künstlerischen Ausdruck können Emotionen verarbeitet und ausgedrückt werden, die schwer in Worte zu fassen sind.  
  • Tagebuch führen oder schreiben: Das Schreiben von Gedichten, Geschichten oder das Führen eines Tagebuchs kann dir dabei helfen, deine Gefühle zu verarbeiten und die Trauer zu reflektieren. 
  • Musik: Beruhigende Musik oder das Spielen eines Instruments kann Trost spenden und eine emotionale Verbindung herstellen. 
  • Ritualgestaltung: Das Entwickeln von individuellen Ritualen oder Traditionen zur Erinnerung an den oder die Verstorbene:n kann Trost spenden und den Prozess der Trauerbewältigung unterstützen. 
  • Yoga oder Meditation: Entspannungspraktiken können dabei helfen, den Geist zu beruhigen und eine tiefere Verbindung mit dir selbst zu finden. 
  • Erinnerungsstücke: Das Erstellen von Erinnerungsstücken wie Fotobüchern, Collagen oder persönlichen Gegenständen kann dabei helfen, die Erinnerung an die Verstorbenen lebendig zu halten und Trost zu spenden. 
  • Reisen oder Pilgerfahrten: Die Durchführung einer Reise oder Pilgerfahrt an Orte, die für die Verstorbene:n wichtig waren, kann dabei helfen, Abschied zu nehmen und Frieden zu finden. 
  • Informiere dich über psychologische Hintergründe: Eine Recherche in Bezug auf die Trauermodelle oder andere Erkenntnisse aus der Trauerforschung können dafür sorgen, dass du wieder mehr Zuversicht hast. 

Quellen und zum Weiterlesen:  

Co-Autorinnen: Alina Ludwig und Tanya Kaindlbauer

Titelbild: Pexels/Isabel Nobrega

Über die Serie

Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.

Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.

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