Pflegekrise oder Krisenpflege?
Was, wenn das Gesundheitswesen ein Mensch wäre – mit Gefühlen und Bedürfnissen wie du und ich? Genau: Es wäre überlastet. Komm mit auf unsere Gedankenreise und begleite das Gesundheitswesen bei der Suche nach sich selbst – und nach Lösungen für die Zukunft.
Will ich das alles wirklich wissen?
Martina sagt: “Insgesamt sind die Personalressourcen sehr reduziert worden. Man hat hier nach ökonomischen Standpunkten gehandelt.” Und fügt sogar hinzu: “Das hat sicher auch seine Berechtigung. Aber wir kommen jetzt an einen Punkt, an dem die Personaldecke so dünn geworden ist, dass keine Ausfälle mehr kompensiert werden können.“
Das klingt nach Ärger. Und so ist es auch. Denn die Folge ist laut Martina, dass Kolleg:innen überlastet sind, oder frustriert. Häufig beides. Trotzdem wird weitergemacht, denn “das Gesundheitswesen muss ja irgendwie funktionieren.”
Déjà-vu. Genau so fühle ich mich derzeit.
Ich frage weiter. Es kommen doch Pflegefachkräfte nach? Es werden doch junge Leute ausgebildet? Schon, pflichtet sie mir bei. Man kann aber nicht einfach nur “nachproduzieren”, man muss erfahrene Kolleg:innen auch halten. Und das wird laut Martina oft vergessen: “Man merkt bei Stationen, auf denen nur frisch Diplomierte oder Bachelor-Absolvent:innen arbeiten, dass die ein Riesenproblem haben. Denn das Erfahrungswissen fehlt.” Der Nachwuchs bringt dafür frisches Wissen aus der Schule oder aus dem Studium mit. Auf die gute Mischung aus neu und erfahren kommt es an.
Dass es diese nicht gibt, ist laut Martina ein Problem. Sprich: Überlastung, zu wenige Ressourcen, zu viel Arbeit. Frust. Das geht so weit, dass Pflegefachkräfte ihre Stunden reduzieren oder ganz aussteigen. Und das kommt “on top” der Pensionierungswelle, die es aktuell im Pflegebereich gibt.
Okay. Bumm. Ich muss zugeben: Das erwischt mich am falschen Fuß. Und ich merke, dass ich nicht besonders gut damit umgehen kann. Es läuft tatsächlich nicht rund in der Pflege. Ich muss aber ehrlich sein: Irgendwie geht es an mir vorbei. Es berührt mich nicht. Es ist eine weitere Baustelle für mich. Ich kann mich nicht um alles kümmern.
Note to self: Nicht zu viele Fragen stellen
Und dann trifft es mich, wie ein Blitz: Hätte ich früher auch so reagiert? Nein, damals glaubte ich fest daran, dass jede:r das Recht auf gute Pflege hat. Habe mich dafür eingesetzt, dass die Menschen, mit denen ich arbeite, gute Arbeitsbedingungen haben. War idealistisch. Habe mich gekümmert. Ob ich diesen Spirit je wiederfinde?
Ich bezweifle es. Dennoch beschließe ich, pflichtbewusst wie ich bin, morgen weiterzuforschen. Vor allem die Sache mit dem fragmentierten System wurmt mich. Warum bekommen wir das nicht besser hin, wie andere Länder auch? Und überhaupt, warum brauchen Krebspatient:innen eigentlich eine Nurse als “Knotenpunkt”, wie Martina es ausdrückt? Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass Therapieinfos an alle Teams weitergegeben werden, die ein:e Patient:in behandeln?
Aber okay. Das muss bis morgen warten. Heute nicht mehr. Ich bin müde. So müde.
Was ich heute gelernt habe:
- Die Pflegekrise ist real.
- Viele Pflegefachkräfte wechseln aus Frust den Beruf oder reduzieren ihre Arbeitszeit.
- Fehlende Befugnisse befeuern die Krise: In vielen europäischen Ländern dürfen Pflegefachkräfte Medikamente verschreiben. In Österreich und Deutschland nicht.
- Bei der Nachbesetzung wird zu wenig auf die richtige Mischung aus erfahrenen und jungen Pflegekräften geachtet. Das geht auf Kosten der Qualität, führt zu Überlastung und Frust.
- Stelle nicht zu viele Fragen, die Antworten könnten dir missfallen.
Quellen und Links:
- Die Studie „Nurse prescribing of medicines in 13 European countries“ (2019)
- AHOP (Arbeitsgemeinschaft hämatologischer und onkologischer Pflegepersonen)
Titelbild: Lena Kalinka
Über die Serie
Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.
In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.