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Krebs und Isolation
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Von Iso-Haft zu Iso-Kraft: Theresas Weg

Akute Leukämie, Lebensgefahr, Isolierstation. Was macht das mit dir? Sehr viel – die Autorin Theresa Othegraf weiß das aus eigener Erfahrung. So wurde sie damit fertig.

Feuer im Blut

Theresas Form des Blutkrebses, akute myeloische Leukämie, ist besonders aggressiv. Dabei reifen die weißen Blutkörperchen nicht mehr zu funktionsfähigen Blutzellen heran. Sie vermehren sich rasch und unkontrolliert und drängen damit den Anteil der anderen Blutzellen zurück:Es werden nicht mehr genügend weiße, aber auch rote Blutkörperchen sowie Blutplättchen gebildet.

Für Theresa bedeutet das: Auch wenn die Chemotherapie erfolgreich ist (und das ist sie), wird der Krebs mit nahezu 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit zurückkommen. Ihre einzige Überlebenschance ist eine Stammzellentransplantation.  

Und die hat es in sich. Durch eine Hochdosis-Chemo müssen die eigenen Stammzellen komplett zerstört werden. Dann können die Stammzellen des:der Spender:in transplantiert werden, um ein neues blutbildendes System aufbauen zu können. Man muss damit rechnen, dass die mit dem Transplantat übertragenen Immunzellen den Körper als fremd erkennen und angreifen. Deshalb bekommt man Medikamente, die die Immunreaktion unterdrücken.  

Einzelhaft

So weit, so medizinisch. Im Klartext bedeutet das: Jeder Infekt ist in dieser Zeit potenziell tödlich. Wer “Stammzellentransplantation” sagt, muss daher auch “Isolation” sagen. 

“Isolation”, sagt Theresa, “war meine zweite Therapie auf Leben und Tod.” Fünf Wochen strikte Abgeschiedenheit in einer Spezialstation. Die Luft gefiltert, damit sie keimfrei bleibt. Sterile Kleidung, die sie täglich wechseln muss. Eine spezielle Schleuse für Besucher:innen – sie müssen sich bis auf die Unterhose ausziehen und eigene, desinfizierte Klinikkleidung anziehen. Das Essen bis zur Geschmacklosigkeit zerkocht. All das, um zuvor harmlose, jetzt tödliche Infektionen zu verhindern. 

Die Sonne scheint durch die herbstlichen Blätter eines Baums.
Sehnsucht nach bunten Blättern und kühler Herbstluft. Theresa blieb fünf Wochen auf der Isolierstation. (Foto: Theresa Othegraf)

Zellen des Lebens

Ihr Schlüsselerlebnis in dieser Zeit? Die Transplantation. Das Wissen: Irgendwo in den USA hat ein Mann Stammzellen gespendet. “Ohne sie könnte ich gar nicht leben. Das war schon erhaben.” Doch zum Nachdenken bleibt wenig Zeit. Es geht ihr saudreckig. Theresas Blutproduktion wird durch die Chemo jeden Tag ein Stück weiter zurückgefahren. Irgendwann ist sie an einem Punkt kurz vor dem Sterben. “Am Tag vor der Transplantation hatte ich nur noch einen Wunsch: am nächsten Tag noch zu leben, damit sie stattfinden kann.” 

Der einsame Kampf gegen den Tod auf der Isolierstation: Wäre Theresa musikalisch, könnte sie ein Lied davon singen. Ihre Ausdrucksform aber sind die Worte. Und so schreibt sie:  

Ich habe Angst – drücken auch die zittrigen Linien und Bögen auf dem Papier aus, die meine Unterschrift ergeben. "Die hat jeder", höre ich, begleitet mit einem warmen Lächeln. Die Worte "Sie schaffen das schon" verbleiben in den Tiefen des Nichtsagbaren. Hier wird nur jemand aufgenommen, bei dem eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Aber es schafft eben nicht jeder. Und die Pflegerin weiß, dass ich es auch weiß.
Theresa Othegraf

Der Text geht noch weiter, Theresa hat ihn aufgenommen. Hier könnt ihr ihn hören:

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Überlebt. Wie?

Theresa überlebt. Behandlung und Isolation. Knapp.  

Wie hast du die Zeit der Einzelhaft überstanden, Theresa? Hattest du eine Strategie? Sie überlegt. Das Schreiben war es nicht. Das kam erst später. Dafür hatte sie nicht die Kraft. Es gab aber die kleinen Dinge des Lebens: Die Besuche ihrer Freundinnen. Die Musikanlage in ihrem Zimmer. Lesen: Zeitschriften – Bücher wären zu anstrengend. Die Vorstellung, einfach wieder in einem Café zu sitzen und einen Cappuccino zu trinken. 

Zurück in ihr Isolierzimmer. “Einmal hatte ich das Gefühl, dass ich durchdrehe. Da wollte ich einfach schreien und alle Schläuche rausreißen.” Darauf bekam sie dann vom Arzt starke Psychopharmaka, als Beruhigungsmittel. Letztlich ist es Theresas Lebenswille, der sie durchbringt. “Ich hatte wirklich tief den Wunsch zu leben.” Sie darf nach Hause gehen. 

Auf der letzten Seite liest du, warum Theresas Isolation noch nicht vorbei ist. Und was sie anderen Patient:innen rät.

Über die Serie

Jeder Mensch hat zwei Leben. Das zweite beginnt dann, wenn du realisierst, dass du nur ein Leben hast, und die Welt sich anders anfühlt. Durch den massiven Eingriff von Krebs & Co findet ein Sinneswandel statt. Falls dein Lebensweg bisher an Sinn vermissen ließ, wird das im Angesicht der Endlichkeit furchtbar klar.

Die Sinneswandel-Serie beschäftigt mit der Vielfalt an Bewältigungsstrategien, die Krebspatient:innen entwickeln, um mit all den weitreichenden Veränderungen umzugehen. Coping ist eine Kunst, und Kunst sensibilisiert die Sinne. Durch unsere Community wissen wir: Manche haben besonders kreative und authentische Ansätze gefunden. Sie haben inspirierende Geschichten gelebt, Prüfungen bestanden, schwere Entscheidungen getroffen – und wir entnehmen die Essenz dieser Lebenswege und gießen sie in tieftauchende Porträts.

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