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Reichhaltige Trauerkultur von Aberglaube zu Klageweibern
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Trauern dahoam: Wie und warum Europa trauert

Europa trauert tendenziell privat. Nichtsdestotrotz haben wir einige jahrhundertealte und kuriose Trauereigenheiten entwickelt. Wir sagen dir, wie sie entstanden sind, warum wir so trauern und was es sonst noch gibt.

Die Hostie 

Der Leib Christi soll sie sein, das Himmelsbrot (reiner, ungesäuerter Brotteig, ebenso reiner Symbolismus) hauchdünn wie Esspapier. Ein Tiefpunkt der Kulinarik. Es gibt übrigens auch glutenfreie Hostien. Aber was tut das zur Sache, eigentlich ist es für diesen Zweck egal. Wenn man als katholische:r Tote:r die Hostie empfängt, dann dient das als Proviant für den Weg. Hmmm, wohin denn eigentlich? 

Eingeführt wurde der kreisrunde Brotersatz im 9. Jahrhundert von der lateinischen Kirche. Dass sie nicht schmeckte, war egal. Der große Vorteil bestand vor allem darin, dass sie nicht schimmelte. Wenn nicht alle Hostien an den Mann, die Frau, die Mannfrau oder den Fraumann kamen, wurden sie einfach im Tabernakel aufbewahrt.

Zeug ins Grab werfen – Blumen, Erde, etc. 

So sprach der:die Priester:in an einem verregneten Dienstagnachmittag: “Aus der Erde sind wir genommen, zur Erde sollen wir wieder werden. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.” Und warf dreimal Erde auf den Sarg in dem sargförmigen Loch. (Halt, wo haben wir den Spruch schonmal gehört? Ach ja, im letzten Kurvenkratzer-Artikel über die lustigsten Redewendungen zum Tod). Danach kommen ein paar andächtig dreinschauende Lebewesen mit Blumen in den Händen und werfen die zum Dreck auf den Sarg.  

Nein, das ist kein morbides Kunstprojekt, sondern Ausdruck der Liebe, Zuneigung und Würdigung (Blumen), sowie das gemeinsame symbolische Schließen des Grabes, die Übergabe des Leichnams an die Erde (Dreck). Man macht es dreimal wegen der heiligen Dreifaltigkeit. Zurück geht die Dreimaligkeit auch auf das dreifache Untertauchen bei der Wassertaufe. 

Ein mit Blumen geschmückter Sarg.
Wir von Kurvenkratzer würden Blumen dem Dreck vorziehen. (Foto: Unsplash/Rhodi Lopez)

Totenwache 

Ist heutzutage eigentlich jegliche Form von Aufbahrung – meist in einer Halle – und kann eine Nacht bis mehrere Tage dauern. Früher hat dieser höchstpersönliche Abschied aber immer in den eigenen vier Wänden stattgefunden und das ganze Dorf kam vorbei, um die letzte Ehre zu erweisen. 

Nicht selten kam es vor, dass sich weit über dreißig Individuen zusammengepfercht in einer stickigen Stube versammelten und kollektiv für hygienisch fragwürdige Zustände sorgten. Zu fortgeschrittener Stunde frönten die Übriggeblieben auch gerne dem Alkoholexzess. Das bezeugen allerlei Gedichte: 

“Armer Freund! Der Schlaf wäre dir gesünder gewesen als solch eine Totenwache. Schneebleich lag eine Leiche und es trank bei ihr der Totenwächter unverdrossen.”
Gebrüder Grimm

Sonstige Rituale der mittelfristigen Vergangenheit 

Nun zu kleineren Ritualen, unmittelbar nach dem Tod, die bis vor nicht allzu langer Zeit praktiziert wurden. Vielleicht gibt es ja etwas, das dich inspiriert.

Bis vor nicht allzu langer Zeit war es relativ normal, nach dem Eintreten des Todes alle Spiegel im Haus abzudecken. Tat man dies nicht, lief man das Risiko, dass sich die Seelen der Toten in der reflektierten Parallelwelt hinter dem Spiegel verfingen und dort fortan mietfrei herumspukten 

Es war gängig, alle Uhren im Haus genau zum Zeitpunkt des Todes anzuhalten, um die Welt für einen kurzen Moment zum Stillstand zu bringen und diesem schicksalsträchtigen Moment zu gedenken. Meist hielt man die Zeiger über die gesamte Totenwache im Zaum. 

Alle Läden auf, lasset die kalte Luft herein! Die Seele entschwindet schließlich dem Körper durch den Mund und verlässt unsere schnöde Welt durch das Fenster, das Fenster zum Himmel. 

Der Kapitalismus reicht bis ins Jenseits. Deswegen legt man den Verstorbenen Münzen auf die Augen, sodass sie den geldgierigen Fährmann bezahlen können, dessen Floß das einzige ist, das über den Jordan ins Jenseits übersetzt. Was für ein Monopol. 

“Herr Priester, Herr Priester, der alte Schusterhansl ist soeben gestorben.” “Ach, was du nicht sagst, mein Junge, dann ist er wohl den Pocken erlegen. Alsdann, ich werde sogleich die Kirchenglocke läuten. Das Dorf muss wissen, was geschehen ist. Danke, mein Junge, hier eine Oblate.” “Wääh, die will ich nicht, die schmeckt ja nach gar nichts.” 

Ein Bischof steht neben einer Kirchenglocke.
Der Priester und seine Lieblingsglocke. (Foto: Wikimedia Commons/Unbekannt)

Auf der nächsten Seite erwartet dich eine kulturelle Trauerreise durch den Rest von Europa.

Über die Serie

Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.

Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.

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