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So trauern wir in der Krebs-Community
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Weiterleben, wenn die anderen sterben

Verbunden. Vertraut. Verschworen. Verloren. Wie sieht es mit der Trauerbewältigung unter uns Krebserfahrenen aus? Für diesen Artikel haben wir über eine Umfrage in unseren sozialen Medien nach Antworten gesucht. Hier kommen eure Geschichten, Erfahrungen und Anregungen. 

Du solltest diesen Artikel lesen, wenn dich interessiert…  

  • wie wir uns gegenseitig unterstützen können, wenn jemand aus unserer Community stirbt, 
  • welche Bedeutung Rituale in der Trauerverarbeitung haben, 
  • was du konkret tun kannst, um den Verlust deiner geliebten Krebs-Freundin oder deines -Freundes zu verkraften.

Verbunden durch die Wunden

“Wir zwei gehen hier geheilt raus.” Frau S. lag schon im Zimmer, als ich auf die Onko-Station kam. Sie hat mich krass erschreckt, weil sie aussah wie ein verkabelter Alien mit Turban. Natürlich war sie ein Mensch. Und was für einer! Wenn ich vor Verzweiflung schluchzte, schlürfte Frau S. zu mir ans Bett und streichelte über meinen Babyflaum.  

Wenn ich nachts den Notrufknopf nicht fand, klingelte sie nach der Schwester und atmete mit mir wie eine Hebamme durch die Schmerzattacken. Wenn ich vor Wut die kleinen Engelfiguren, die meine verzweifelten Besucher:innen anschleppten, zerschmetterte, dann sammelte sie die Scherben auf und kommentierte meinen Wutanfall mit “endlich ist das geschmacklose Ding kaputt”.  

Und egal wie kaputt wir uns fühlten, wir haben uns eine tägliche Dosis Hoffnung verabreicht. “Wir zwei gehen hier geheilt raus.” “Ganz genau. Wir zwei gehen hier geheilt raus.”

Comicfiguren Lego Frankensteins Monster und weitere Figur
Die tägliche Dosis Hoffnung kann dir niemand besser verabreichen, als dein:e Zimmernachbar:in auf der Onko-Station. (Foto: Unsplash/Yazid)

Als ich mit dem Befund geheilt entlassen wurde, musste Frau S. noch bleiben. Sie hatte ein Rezidiv und verstarb ein paar Monate später. 

Verschworen wie die Gladiatoren  

Du hast vielleicht Ähnliches erlebt wie die Autorin dieses Artikels: Du lernst andere Krebspatient:innen kennen, ihr werdet zu Verschworenen, weil ihr euch nicht erklären müsst, ihr fühlt euch zusammen stärker, zieht gemeinsam in den Kampf mit diesem einen Ziel vor Augen: überleben. Und dann muss dein bester Buddy mit dem Tod die Arena verlassen.  

Es ist leider immer noch so: In unserer Community wird viel gekämpft und oft gestorben. Wir wissen das und freuen uns über jede Zugabe – noch eine gemeinsame Unternehmung, noch ein Telefonat, noch eine Nachricht, die uns aufmuntert.  

Einen Wunsch habt ihr uns dennoch mehrmals mitgeteilt: Lasst uns den Tod nicht als „Endgegner“ betrachten, sondern als natürlichen Teil des Lebens. 

Vertraut mit der Trauer 

Wenn wir jemanden aus unserer Krebs-Community verlieren, dann fühlen wir uns selbst verloren. Schwerer als schwer und leerer als leer. Wie ein abgekoppelter Astronaut im freien Fall 

Mann fällt kopfüber
Der Verlust eines Community-Mitglieds ist wie ein Fall ins Ungewisse, begleitet von einer unendlich schweren Leere. (Foto: Unsplash/Michael Perfecto)

Besonders die Metastasierten unter uns können ein Lied davon singen. Meistens mehr Heavy Metal als Easy Listening. “Ich befreundete mich durch meine Palliativdiagnose mit derart lieben Menschen, dass Gesunde neidisch wurden. Anfangs war ich sehr vorsichtig, aber dann feierten wir jeden Glücksmoment, als gäb’s kein Morgen mehr”, flüsterte uns jemand aus der Community zu.  

Dann verstarb meine Meta-Freundin ganz plötzlich trotz besserer Prognosen. Das war so ein krasser Schlag. Der Tod war auf einmal so laut und schrie mich an. Ich fühlte mich irgendwie schuldig, dass ich weiterleben darf.

Verkraften: Allein oder im Verein?

Man könnte nun schlussfolgern: Am besten Scheuklappen auf und erst gar keine Freundschaften schließen mit anderen Krebspatient:innen.  

Ihr habt uns aber etwas ganz anderes erzählt: Der Tod gehört zu unserer Gemeinschaft. Das ist uns allen klar. Aber wir müssen uns auch bewusst machen, dass jeder Mensch, jede Diagnose und letztlich jeder Lebensweg anders ist. Das gilt für alle – mit oder ohne Krebs.  

Viele haben betont, wie wichtig es ist, beidem Raum zu geben: sowohl dem Rückzug, den jede:r für sich braucht, als auch die Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die Halt gibt. In einer Gruppe, so scheint es, kann Trauer nochmals intensiver erlebt und gelebt werden.  

Ob im Verein, in der Selbsthilfeorganisation oder in der Blogger:innen-Community, es gibt viele Orte und Strategien der Trauerbewältigung

Auf der nächsten Seite wartet eine Sammlung an gemeinsamen Trauerritualen.

Über die Serie

Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.

Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.

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