Wenn Daten heilen – Gesundheitshistorie auf einen Klick
Dem Gesundheitswesen geht es etwas besser. Es fängt an, sich sportlich zu betätigen und längst vergessene Sportgeräte und Gesundheits-Tracking-Tools zu nutzen. Aber was passiert mit all den Daten? Dem geht es auf den Grund und trifft auf Birgit Bauer, Gründerin von „Data Saves Lives Germany“.
Ein(e) digitale(r) Akt(e)
Ich recherchiere weiter und stoße auf die „elektronische Patientenakte“, die „ePA“. Also die deutsche Version davon. Dann gibt es noch die österreichische Variante, namens „Elga“. Ich muss schmunzeln. Heißt fast wie meine Oma. Lustig.
Ich finde dazu einen interessanten Artikel, der diesem System kritisch gegenübersteht. Der österreichische Gesundheitsminister Johannes Rauch (hihi, ein ebenso lustiger Name für jemandem mit diesem Amt!) von der grünen Partei möchte das Gesundheitssystem in Österreich modernisieren und digitalisieren. Er glaubt, dass alle Ärzt:innen Zugriff auf digitale Befunde haben sollten, um redundante Untersuchungen zu vermeiden und Geld zu sparen.
Aber hier kommt das Problem: Die elektronische Gesundheitsakte Elga existiert bereits seit zehn Jahren, funktioniert aber immer noch nicht richtig. Nur ein kleiner Teil der aktuellen Befunde ist für andere Ärzt:innen zugänglich. Viele wichtige Informationen wie Röntgenbilder und Laborbefunde fehlen ganz oder sind unbrauchbar, da sie nur als PDF-Dateien vorliegen.
Elga soll, laut Alexander Moussa von der österreichischen Ärztekammer, sogar den Alltag der Ärzt:innen erschweren, da Informationen schwer zu finden sind. Niedergelassene Ärzt:innen sind auch nicht verpflichtet, Elga zu nutzen, was zu unvollständigen Daten führt und das Ziel, redundante Untersuchungen zu verhindern, verfehlt. Suboptimal.
Die österreichische Ärztekammer fordert eine stärkere Einbindung von Mediziner:innen bei der Verbesserung von Elga, insbesondere bei der Benutzeroberfläche. Ärzt:innen möchten nämlich mehr Zeit für die Patient:innen und weniger für die Technik investieren. Berechtigte Sorge oder Angst vor Neuem? So oder so: Das Ösiland scheint da noch einen langen Weg vor sich zu haben.
Und wie sieht’s in Deutschland aus? Die ePA soll auch hier für den Austausch zwischen Ärzt:innen, Krankenhäusern und Apotheken sorgen. Patient:innen können sogar bestimmen, welche Daten gespeichert werden und wer darauf Zugriff hat.
Aber es gibt auch hier einen Haken: Nicht alle Ärzt:innen teilen ihre Infos. Wichtige Dokumente wie Röntgenbilder sind fast unsichtbar. In Deutschland bieten seit Januar 2021 alle gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten eine ePA an – eine Testversion, die freiwillig genutzt werden kann. Das Bundesministerium für Gesundheit plant ab 15. Jänner 2025, eine ePA für alle gesetzlich Versicherten einzurichten.
Schrittweise soll das dann zum vollständigen Akt werden – die sogenannte gemeinschaftliche ePA. Wer nicht möchte, muss aktiv widersprechen. Das nennt sich dann Opt-Out-Verfahren. Alle gesetzlichen Krankenkassen bieten ihren Versicherten sogar eine eigene kostenlose ePA-App an, um die digitale Akte nutzen zu können. Da kann man alles reinpacken – von Arztbriefen bis zu den letzten Impfungen. Alles freiwillig, natürlich.
Neben all den Vorteilen, die die elektronische Patient:innenakte verspricht, gibt es auch Kritikpunkte. Sicherheitsrisiken für Nutzer:innen, die über ältere Geräte verfügen, mit fehlenden Sicherheitsupdates beispielsweise.
Die strengen Datenschutzgesetze in der Europäischen Union, also die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO oder GDPR), die den Datenschutz und die Privatsphäre aller Personen innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) regelt, haben zweifellos positive Auswirkungen auf den Schutz der Privatsphäre. Jedoch hemmen sie auch Innovation, indem sie bestimmte datenintensive Entwicklungen erschweren oder verzögern.
Aber es ist möglich, Datenschutz zu gewährleisten und Innovation zu fördern, indem Datenschutz von Anfang an integriert, Daten minimiert und anonymisiert, Transparenz gewährleistet und starke Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt werden.
Daten checken, Leben retten?
Ich drifte ab. Was wollte ich nochmal googlen? Genau! Meine persönlichen Daten, die aufgenommen werden und in den endlosen elektronischen Weiten meines Smartphones verschwinden. Bzw. hatte das nicht etwas mit den von mir genehmigten Cookies zu tun? Soviel weiß ich: dass ich nach meiner bisherigen Recherche noch mehr Fragen habe.
Ich stoße im Informationsdschungel des World Wide Web auf eine Plattform mit dem Namen „Data Saves Lives Deutschland“ (kurz: DSL DE). Das ist eine Initiative, die sich mit dem Thema „Teilen von Gesundheitsdaten“ auseinandersetzt und erklärt, warum das Teilen von Gesundheitsdaten wichtig ist. Die Gründerin und Projektkoordinatorin ist Birgit Bauer. Digital Health & Social Media Expertin, Patient Expert und Journalistin, die bereits seit 2007 in der internationalen Patient Advocacy aktiv ist.
Birgit Bauer. Der Name sagt mir etwas. Ja! Ich kenne sie aus dem Internet und den Social Media Plattformen. Ich lese weiter.
Die Vision von Data Saves Lives ist es, Patient:innen und Bürger:innen über das Thema „Teilen von Gesundheitsdaten“ neutral und verständlich aufzuklären und zu informieren, sowie Patient:innenorganisationen dabei zu unterstützen, ihre Mitglieder über das Thema zu informieren.
Super Sache. Ich schaue auf die Uhr. 11:24. 36 Minuten habe ich noch. Dann beginnt meine täglich geführte Meditation, nach Empfehlung meiner Therapeutin. Den Link zu dem Facebook-Livestream schickt sie mir jeden Tag. Anfangs war ich skeptisch, aber es klappt schon besser mit dem Kopfabschalten.
11:25 Uhr. Okay, 35 Minuten. Ich schreibe Birgit Bauer eine Mail und frage, ob sie Zeit hat, mir ein paar Fragen zu beantworten. Und tatsächlich! Nach nur drei Minuten erhalte ich eine Antwort. Ihr Terminkalender ist voll. Dachte ich mir. Zu meinem Erstaunen hat sie aber jetzt ganz spontan für 20 Minuten Zeit für einen Zoom-Call. Perfekt! Ich erstelle das Meeting, schicke ihr den Link, steige in den virtuellen Raum ein und *schwups* sind wir schon gemeinsam im Meeting. So schnell kann es gehen.
Da wir beide Zeitdruck haben, frage ich direkt los.
“Was genau macht ihr denn bei Data Saves Lives Deutschland? Da blicke ich noch nicht ganz durch.”
Birgit: „Data Saves Lives ist ein Projekt, das 2019 vom „European Patients Forum“ und „The European Institute for Innovation through Health Data“* auf europäischer Ebene für Patient:innen und Patient:innenorganisationen gegründet wurde, um über das Teilen von Gesundheitsdaten zu informieren. Das heißt, wir informieren, erklären und ermutigen unsere Zielgruppen, also Patient:innen, Patient:innenorganisationen und interessierte Bürger:innen, dazu, sich aktiv mit dem Thema auseinander zu setzen und am Ende auch aktiv über die eigenen Gesundheitsdaten entscheiden zu können.“
“Aha, und welche Fortschritte wurden bisher durch die Arbeit von eurer Initiative erzielt?”
Birgit: „Wir haben in Deutschland in kurzer Zeit eine organische Community aufgebaut, die mit uns gemeinsam das Thema betrachtet, Fragen stellt und mit uns diskutiert. Im „DSL DE Logbuch 2023“ haben wir neben Umfragen, Statements, Tendenzen und Lösungen zum Thema Gesundheitsdaten, im vergangenen Jahr eine Analyse veröffentlicht, die zeigt, welche Bedürfnisse Patient:innen und Patient:innenorganisationen sowie Bürger:innen haben, was Informationen zum genannten Thema betrifft. Das Logbuch gewährt einen Überblick und bringt zudem Expert:innenstatements und weitere Informationen zu unserer Arbeit mit. Man kann es unter www.datasaveslives.de in deutscher, wie englischer Sprache abrufen.“
Ich frage weiter. 14 Minuten habe ich noch: “Wie reagierst du auf Bedenken seitens der Öffentlichkeit in Bezug auf die Nutzung von Gesundheitsdaten?”
Birgit: „Ergebnisse der in der letzten Zeit veröffentlichten Studien, wie dem Self-Tracking Report von e-patient analytics oder der GIHF-AI Studie zum Teilen von Gesundheitsdaten (Links in der Quellenbox) zeigen, dass die Menschen an sich keine so großen Probleme damit haben, ihre Gesundheitsdaten zu teilen.
Es liegt mehr an den Informationen zum Thema, also Details wie Sicherheit oder wer braucht die Daten, die oft vermisst werden, Aufklärung und eine öffentliche Diskussion. Hier greifen wir mit Data Saves Lives ein. Wir sehen, dass verständliche Informationen helfen, das Thema aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen und neu wie aufgeschlossen zu bewerten.“
Neben einer eigenen Onlineumfrage, die das Team von DSL DE durchgeführt hat, wurden im Logbuch auch weitere Umfragen von bekannten Quellen benannt und geprüft. Im von Birgit erwähnten Self Tracking Report haben beispielsweise…
- über 75% der Befragten die Idee einer staatlichen Forschungsdatenbank mit anonymisierten Gesundheitsdaten als sehr gut oder gut empfunden .
- über 70% Vorsorge auf Basis einer digitalen Patient:innenakte mit persönlichen Gesundheitsdaten als gut bis sehr gut empfunden.
- über 55% angegeben, nicht zu wissen, wie sie mit der Messung und der Analyse der Daten grundsätzlich umgehen sollen .
Dem letzteren Punkt zufolge scheint es also doch noch etwas Bedarf nach Aufklärung zu geben.
“Was sind denn aktuelle Ziele für die Zukunft?”
Birgit: „Weitermachen. Die Formate und Themen ergänzen, aktualisieren und daran arbeiten, dass die Gesundheitskompetenz der Menschen in den Bereichen Digitalisierung und Gesundheitsdaten weiter ausgebaut werden kann. Ich schlage vor, uns einfach auf Social Media zu folgen und mitzudiskutieren.“
Birgit Bauer stellt mir direkt die Links in den Chat. Grandios. Es geht also vorwärts. 12:02 Uhr. Verdammt, meine Meditation! Ich bedanke und verabschiede mich. Jetzt schnell rein in den Livestream.
Mit Apotheken und E-Health-Anwendungen im onkologischen Bereich beschäftige ich mich auf der nächsten Seite.
Über die Serie
Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.
In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.