Wie Maschinen Medizin menschlicher machen
Hightech trifft Hausarzt-Flair: Daten und KI machen Medizin so individuell wie nie. Gerade Krebsbetroffene dürfen den Fortschritt hautnah erleben. Doch wo Chancen sind, lauern auch Herausforderungen. Expertin Barbara Prainsack verrät, wie personalisierte Medizin die Zukunft gestaltet.
Krebs ist höchstpersönlich
In der Onkologie wird das Potenzial besonders sichtbar: „Die Krebstherapie ist wahrscheinlich der Bereich, in dem die Personalisierung in den letzten Jahren am weitesten fortgeschritten ist“, sagt Professorin Prainsack. Und weiter: “Krebs und Tumore werden nicht mehr nur danach beurteilt, wo sie sind. Man kann jetzt auch die molekularen Eigenschaften dieser Tumore besser beschreiben und dann die Therapieformen an ihre molekularen Eigenschaften anpassen.”
Das bedeutet im Grunde, dass man den Menschen Nebenwirkungen und somit Leiden erspart. Barbara bestätigt: „Es geht darum, die Belastung für die Patient:innen zu reduzieren und gleichzeitig die Erfolgschancen der Behandlung zu maximieren“.
Stärker auf deine Eigenschaften zugeschnitten sind außerdem Prävention und Immuntherapie. Letztere sind quasi ein Paradebeispiel für personalisierte Medizin, da sie individuelle Eigenschaften des Tumors und der Patient:innen berücksichtigen, um das Immunsystem gezielt zu aktivieren und so den Krebs zu bekämpfen.
Ethischer Korrektheitstest mit Barbara Prainsack
Wie meistens, wenn neue Möglichkeiten den Horizont der Medizin erreichen, tut sich das ein oder andere ethische Dilemma auf.
1. Datenschutz
“Die ‚radikale‘ Vision der Präzisionsmedizin ist ja doch eine relativ umfassende datenmäßige Überwachung von Menschen, die Daten nicht nur von kranken, sondern auch gesunden Menschen nimmt, um vorhersagbar zu machen, wann jemand krank wird.” Auch wenn diese Vision noch nicht Eingang in den klinischen Alltag gefunden hat, so bestimmt sie doch mit, in welche Richtung sich das Feld entwickelt. Einerseits können mehr Daten den Fortschritt antreiben, andererseits könnte das viele Menschen auch vor den Kopf stoßen.
Das liegt laut der Expertin daran, dass „manche Menschen nicht nur Angst davor haben, dass ihre Daten missbräuchlich verwendet werden könnten, sondern sich generell Sorgen machen, dass wir alle zu gläsernen Menschen werden“. Auch wenn das nicht auf die Mehrheit zutreffe, sei das doch ernstzunehmen. Schlussendlich gibt sich Barbara aber optimistisch: “Der Datenschutz ist in den meisten Fällen ein absolut lösbares Problem, weil es sehr gute technische Protokolle gibt, um mit persönlichen Daten sorgfältig umzugehen.“
Dennoch bleiben systemische Bedenken: Werden die gesammelten Daten fair und transparent genutzt? Oder profitieren am Ende nur große Unternehmen? Und das bringt uns auch schon zum zweiten ethischen Dilemma: der Gerechtigkeit.
2. Zwei-Klassen-Medizin
Personalisierte Medizin ist teuer, und es besteht die Gefahr, dass nur die betuchteren unter uns Zugang haben werden. Prainsack warnt dementsprechend vor der Dystopie der ‘Boutique-Medizin’: ”Für die, die es sich leisten können, wird es dann datenintensiv, Hightech, mit menschlichem Kontakt, während alle anderen das nur im Notfall bekommen – und im Alltag mit digitalen Instrumenten abgespeist werden.”
Die Frage ist also, wie man sicherstellen kann, dass die Früchte der Forschung der personalisierten Medizin allen zugute kommen.
Wenn du mehr über die Gefahren der Zwei-Klassen-Medizin wissen willst, dann hier lang.
Aller Anfang ist Politik
Für die Politologin Prainsack liegt der Ball bei der Politik. “In der politischen Arena hört man immer, dass Gesundheit das höchste Gut ist. Dieses Versprechen muss auch umgesetzt werden.”
Um die Kosten wissend, sagt sie: “Es muss uns etwas wert sein. Gesundheitspolitik geht ja über das Gesundheitssystem hinaus“, und verweist dabei auf die Bedeutung von Bildung, Wohnraum und sozialen Sicherheiten. Alles hängt zusammen, die multidisziplinäre Barbara weiß das nur zu gut.
Du merkst also: Um auf die Gesundheit des oder der Einzelnen einzugehen, muss erstmal ein fairer Rahmen geschaffen werden, in dem jeder gesellschaftliche Aspekt seine Berücksichtigung findet. Spätestens wenn das passiert, erfährt die personalisierte Medizin dank Daten und KI ihren zweiten Frühling.
Zum Weiterlesen:
- Auf der Webseite der Uni Wien erfährst du mehr über die Arbeit von Barbara Prainsack.
- Und hier kommst du zur “Gesundheitsrebell:innen”-Podcastfolge mit Barbara Prainsack.
Titelbild: Unsplash/Cash Macanaya
- Seite 1
- Seite 2
Über die Serie
Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.
In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.