Ich bin tot. Was nun?
Was zwischen Tod und Beerdigung mit dem Körper passiert, ist ein Geheimnis, in das nur die Bestatter:innen eingeweiht sind. Bis eine neugierige Leiche endlich genau wissen wollte, was mit ihr geschieht.
Huch. Was ist passiert? Bin das ich auf dem Bett? Warum schauen mich alle so besorgt an? Wieso habe ich zwei Tampons in der Nase? Ich schaue an mir hinab, betaste meinen nackten Körper. Ich fühle ihn nicht. Es scheint, niemand im Raum nimmt mich wahr.
“Du hast Glück.”
Neben mir steht plötzlich ein kleiner Mann mit faltendurchzogenem Gesicht. Seine weisen Augen zusammengekniffen, sein langer weißer Bart leicht in der Brise wehend. Jemand hat das Fenster geöffnet. Der Alte spricht:
“Weißt du, wie wenige Leute heutzutage im Kreise der Familie sterben?”
“Äääääh…”
“Nur ein Viertel. Schon schade, schon schade.”
Wer ist dieser aufdringliche Guru, der mich mit Statistiken bombardiert?
“Ich bin der Tod”.
“Du schaust ja gar nicht aus wie der Tod! Wo sind dein schwarzer Umhang und deine Sense?”
“Ach, ihr Menschen habt einen unvergleichlichen Hang zur Dramatik. Immer muss ich euch überzeugen, dass ihr gestorben seid. Komm, wir gehen.”
“Was? Nein! Ich kann noch nicht gehen. Ich will wissen, was mit mir passiert ist!”
“Du hast…”
Meine Frau unterbricht den Tod. Sie heult und schluchzt und dazwischen fragt sie immer wieder die Decke: “Wie kann so etwas passieren?”
Der alte Tod fährt fort:
“Ich denke, es ist besser, wenn du es nicht erfährst. ”
“Dann will ich zumindest wissen, was mit mir geschieht!”
“Du wirst zum Bestatter gebracht und beerdigt. Zufrieden?”
“Nein.”
Der Tod seufzt und verdreht die Augen. “Nun gut.”
Und er beginnt zu erklären.
Geruchstest
“Es ist Frühling. Draußen ist es noch nicht so warm. Das ist gut, denn wäre es Sommer, dürfte sich deine Familie nicht so viel Zeit lassen. Je wärmer es ist, desto schneller fängt der Leichnam nämlich an zu müffeln. Vor allem, wenn du vorher etwas gegessen hast.” Der Tod schaut mich fragend an.
“Naja, hätte ich gewusst, dass ich sterbe, hätte ich vielleicht nichts gegessen.”
“Es bildet sich bald Fäulnisflüssigkeit, weil dein Leichenschmaus im Magen zu gären beginnt. Wenn sie dich schnell kühlen, kann der Prozess verzögert werden.”
Meine Frau geht zum Telefon und ruft die Ärztin an.
“Gut. Jetzt ist es wichtig, dass sie an deinem Körper nichts mehr verändern. Auch die Kleidung darf nicht gewechselt werden, damit die Ärztin eine wahrheitsgetreue Totenbeschau vornehmen kann. Und besser, sie machen jetzt das Fenster zu, sonst kommen bald die Fliegen rein.”
Die überführte Leiche
Eine halbe Stunde später steht eine fremde Ärztin vor der Tür. Unser Hausarzt war anscheinend nicht verfügbar. Sie erinnert gleich mal daran, dass der ärztliche Behandlungsschein nachgebracht werden muss, damit sie das Recht hat, die Leiche zu überprüfen. Mein Hausarzt würde ihn ausstellen.
Sie überprüft meinen Leichnam, fragt nach dem Zeitpunkt des Todes, schaut nochmal auf die Uhr, und fragt anschließend, wie ich gestorben sei.
Plötzlich übertönt der Tod die Worte der Ärztin mit einem ohrenbetäubenden “LALALALALALALA”.
„Hey, was soll das?”
Der Tod grinst.
Die Ärztin überprüft die Todesursache und schüttelt murmelnd den Kopf: “Wer kommt denn auf sowas?” Dann zückt sie einen kleinen Stapel Dokumente. Ich schaue über ihre Schulter. Auf dem obersten Zettel steht “Totenschein”.
“Der kostet um die 100€, je nachdem, wie lange die Ärztin für die Begutachtung braucht. Der Schein hat vier Teile – einen übernimmt der:die Bestatter:in, einen das Gesundheitsamt, noch einen das statistische Landesamt und den letzten das Standesamt.”
Die Ärztin erklärt währenddessen meiner Frau:
“Die zwei hier sind für das Sterbebuch beim Standesamt. Die Sterbeurkunde bekommen Sie, sobald Sie einen Antrag stellen und persönlich dort vorsprechen.”
Der Tod flüstert mir weiter zu:
“Wären wir in Österreich , würde das Ganze aus der ‘Anzeige des Todes’, und dem ‘Leichenbegleitschein’ bestehen.”
“Du kennst dich ja wirklich gut mit Bürokratie aus”.
“Ihr Menschen habt den Tod eben sehr kompliziert gemacht.”
Im nächsten Kapitel geht die Leiche auf ein postmortales Thermenwochenende.
Über die Serie
Oh nein, nächstes Tabuthema auf Kollisionskurs! Als ob Krebs nicht ausreicht. Machen wir uns nichts vor: Krebs wird direkt mit Sterben, Tod und Trauer in Verbindung gebracht, auch wenn viele Krebserkrankungen gar nicht tödlich sind. Geht’s doch schließlich ums Abschiednehmen, das alte Leben loslassen.
Wer uns kennt, weiß, dass wir alles locker, aber nichts auf die leichte Schulter nehmen. Schon gar nicht das Lebensende. Scheiden tut weh, keine Frage, und den Löffel abzugeben ist nicht lustig, aber wer zuletzt lacht, soll am besten lachen. Lass uns gemeinsam ins Gras beißen! Wie, das erfährst du in dieser Serie.