15 min
Das Gesundheitswesen schreibt Tagebuch
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Medikamangelware

Das Gesundheitswesen wird krank – doch es gibt keine Medikamente. Wie kann das sein? Die Suche nach einer Antwort führt unseren Protagonisten von den Niederungen der Innenpolitik über (zu) einfache Lösungen zum Lieferkettenexperten Richard Pibernik – der zwar Antworten parat hat, aber wenig Hoffnung.

Ich hatte es ja schon geahnt. Auch heute wieder keine simplen Lösungen. Scheint bei den Politiker:innen noch nicht angekommen zu sein, die das Model „Zurück nach Europa“ weiter anpreisen. Auch ich wehre mich innerlich: Warum können die Dinge nicht ein verdammtes Mal einfach sein?

Diversifika-was?

Aber ich lasse Richard ausreden. Wie lässt sich das Problem mit den Engpässen also lösen? „Wir müssen viel mehr schauen, wie wir Versorgungssicherheit zu vernünftigen Kosten herstellen können. Und das bedeutet zu diversifizieren.“

Diversifikation also. Das Aufteilen auf mehrere Bezugsquellen. Darunter versteht er:

  • Auf unterschiedliche Lieferant:innen in unterschiedlichen Regionen der Welt setzen – nicht nur in China und Indien.
  • Das zentrale Einlagern von Sicherheitsbeständen in der EU, etwa, um auf Notfälle und erhöhten Bedarf im Winter reagieren zu können. Als Beispiel könnte die „Strategic National Stockpile“ der USA dienen, ein strategisches nationales Lager für kritische Medikamente (fällt dir die Ähnlichkeit mit den verpflichtenden Lagerbeständen in Österreich auf? Vielleicht doch nicht ganz aus der Luft gegriffen, die Idee).
  • Und einen Notfallplan, der beschreibt, was wir tun, wenn es wirklich mal schlimm kommt – Extrembeispiel: China liefert keine Medikamente mehr.
Storage
Zentrales Einlagern von Sicherheitsbeständen: ein wichtiger Schritt gegen Medikamentenmangel. (Illustration: Lena Kalinka)

Vor allem bei der „Stockpile“-Sache fängt Richard an zu schwärmen: „Ja, stell dir doch mal vor, was das für eine für eine Idee ist. Wenn wir so eine Stockpile für ganz Europa hätten, was wir da für ein Volumen zusammenbekommen!“ Durch ein geeintes Auftreten der EU würde auch die Verhandlungsmacht gegenüber Pharmaunternehmen steigen, und man könnte bessere Preise erzielen, träumt er weiter.

Wahrscheinlich glänzen seine Augen gerade. Doch die Kamera ist ja ausgeschaltet.

Die Taube auf dem Dach

Zurück zur Realität. Diesem Traum von einem geeinten Europa steht vor allem eins gegenüber: nationale Interessen. Es ist wie im echten Leben. Ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach. Und so „wurschteln“ sich die EU-Länder einzeln weiter durch den Engpassdschungel, um es auf österreichisch zu sagen.

sitzende Taube
Würden die europäischen Länder zusammenhalten, könnten sie sich die Taube auf dem Dach leisten. (Illustration: Lena Kalinka)

Ich will das Gespräch schon beenden, doch Richard will noch etwas loswerden. „Eigentlich habe ich keine Hoffnung, also… Ich habe das Gefühl, dass wir überhaupt nicht aus unseren Fehlern lernen.“ Er meint damit jene während der Corona-Pandemie. „Wir stehen genauso da wie 2020. Wir haben immer noch keinen Plan und keine Ahnung, wie wir mit solch kritischen Sachen wie Masken, Schutzanzügen und so weiter umgehen. Und dasselbe gilt für Arzneimittel.“

„Danke, Richard.“

Niedergeschlagen schalte ich auch meinen Screen ab und nehme noch eine Kopfwehtablette, die letzte in der Packung. Was soll’s. Bekanntlich ist Schlafen die beste Medizin. Genau das werde ich jetzt machen. Morgen kann ich die Welt wieder retten.

Für heute bin ich fertisch.

Person liegt schlafend im Bett darüber befindet sich Ladebalken für Gesundheit
Mit viel Schlaf lassen sich die meisten Akkus wieder aufladen. (Illustration: Lena Kalinka)

Das habe ich gelernt:

  • Engpässe sind kein neues Phänomen, treten seit einigen Jahren aber gehäuft auf.
  • Es sind fast nur Generika betroffen.
  • Die wichtigsten Gründe: Rückgang bei den Hersteller:innen, zu wenig Diversifikation.
  • Die wichtigsten Gegenmittel: Mehr Hersteller:innen, mehr Diversifikation.
  • Eine Verlagerung der Produktion nach Europa ist zu teuer.
  • Wir brauchen einen „Strategic Stockpile“ für die EU!
  • Das Internet in Deutschland ist mies.

Links und Quellen:

Titelbild: Lena Kalinka/Richard Pibernik

Über die Serie

Stell dir vor, das Gesundheitswesen ist ein echtes Wesen. Es atmet, isst, trinkt, verdaut, fühlt. Und wenn es lange überlastet ist, funktioniert es nicht mehr wie sonst. In dieser Serie passiert genau das: Das Gesundheitswesen erleidet ein Burnout und muss eine Auszeit nehmen. „Den Auslösern auf den Grund gehen“, wie die Psychologin sagt.

In 20 Tagebucheinträgen beschäftigt es sich mit sich selbst – und deckt nach und nach Probleme, Erfolge und Möglichkeiten auf. Dazu spricht das Gesundheitswesen mit allerlei Fachleuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz übers Bettenfahrern, die Pflegekrise oder Themen wie Föderalismus und Digitalisierung. Am Ende entsteht ein Gesamtbild der aktuellen Herausforderungen im System.

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